Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen eines Ausnahmefalles i.S.v. § 100 Abs. 2 lit. d Alt. 2 GWB.
2. Zu den Voraussetzungen einer Zurückverweisung der Sache an die Vergabekammer nach § 123 Satz 2 Alt. 2 GWB.
Normenkette
GWB § 100 Abs. 2 Buchst. d Alt. 2, § 123 S. 2 Alt. 2
Verfahrensgang
Vergabekammer Lüneburg (Beschluss vom 08.10.2009; Aktenzeichen VgK-48/2009) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer beim Nds. Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 8.10.2009 - VgK-48/2009 - aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung über den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats an die Vergabekammer, die auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat, zurückverwiesen.
Gründe
Der Antragsgegner hat den Auftrag "Leitstellentechnik für die Kooperative Großleitstelle O." (KGO) als Bauleistung mit Bekanntmachung vom 13.2.2009 europaweit als nicht offenes Verfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb ausgeschrieben. Die KGO ist eine von zukünftig acht Großleitstellen der Polizei N.. Davon sind sechs als Kooperative Leitstellen geplant. Das Land N. plant, diese zu einem Leitstellenverbund auszubauen. Das Projekt "KGO" wird als Baumaßnahme des Landes N. durchgeführt. Hierbei handelt es sich um eine gemeinsame Leitstelle von Feuerwehr/Rettungsdienst/Krankentransport und Polizei im O. Land.
Die Beigeladene und die Antragstellerin waren im Teilnahmewettbewerb erfolgreich. Sie wurden nach Maßgabe des Vergabevermerks am 3.4.2009 zur Abgabe eines Angebots aufgefordert. Mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe erhielten sie die Vergabeunterlagen, hierunter die funktionale Leistungsbeschreibung der Leitstellentechnik, das Leistungsverzeichnis und zahlreiche Anlagen.
In der Niederschrift über die Angebotseröffnung am 11.6.2009 ist vermerkt, dass vier Angebote fristgerecht bei der Vergabestelle eingegangen sind. Hiernach hat die Antragstellerin das preislich niedrigste Angebot abgegeben, das Angebot der Beigeladenen liegt preislich auf Rang 3. Mit Informationsschreiben vom 14.8.2009, korrigiert durch das Schreiben vom 25.8.2009, informierte die Vergabestelle die Bieter über den beabsichtigten Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen. Der Antragstellerin teilte sie mit, dass ihr Angebot ausgeschlossen wurde, weil es nicht alle Bedingungen der Ausschreibung erfüllt habe.
Mit anwaltlichem Rügeschreiben vom 19.8.2009 beanstandete die Antragstellerin den Ausschluss ihres Angebotes und den beabsichtigten Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen als vergaberechtswidrig. Mit Schriftsatz vom 21.8.2009 beantragte sie die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. In diesem Nachprüfungsverfahren machte der Antragsgegner erstmals mit Schriftsatz vom 28.9.2009 - zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer am 30.9.2009 - geltend, dass eine Bereichsausnahme gem. § 100 Abs. 2 lit. d GWB vorliege, was dazu führe, dass der Rechtsweg zu den Nachprüfungsbehörden nicht eröffnet sei.
Die Antragstellerin hat im Nachprüfungsverfahren beantragt,
1. Akteineinsicht - auch in die Korrespondenz zwischen der Beigeladenen und dem Antragsgegner sowie in die Punktebewertung der Beigeladenen zu den Positionen "besondere Anforderungen";
2. den Antragsgegner zu verpflichten, ihr Angebot nicht auszuschließen und das Angebot der Beigeladenen auszuschließen,
3. hilfsweise: dem Antragsgegner zu untersagen, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilten;
4. dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen;
5. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch sie für notwendig zu erklären.
Der Antragsgegner hat beantragt,
1. den Antrag der Antragstellerin wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen;
2. hilfsweise: den Antrag der Antragstellerin wegen Unbegründetheit zurückzuweisen.
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 8.10.2009 den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Nachprüfungsantrag sei nicht statthaft. Die streitbefangene Vergabe eines Auftrages zur Errichtung und Inbetriebnahme der Leitstellentechnik für die KGO unterliege nicht den Vorschriften über das Nachprüfungsverfahren nach dem 4. Teil des GWB. Der Auftragsgegenstand erfülle den Ausnahmetatbestand des § 100 Abs. 2 lit. d Alt. 2 GWB. Der streitgegenständliche Auftrag erfordere nach den Vorschriften des Nds. SÜG besondere Sicherheitsmaßnahmen. Auf den Ausnahmetatbestand des § 100 Abs. 2 lit. d GWB habe sich der Antragsgegner unbeachtet der Tatsache berufen dürfen, dass er ursprünglich davon ausgegangen sei, die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen auch im Rahmen eines nicht offenen Vergabeverfahrens gewährleisten zu können und ein solches auch tatsächlich durchgeführt habe. Die einmal getroffene Entscheidung für die Durchführung eines Vergabeverfahrens führe nicht zwingend zur Eröffnung des Nachprüfungsverfahrens nach dem 4. Teil des GWB, wenn der Antragsgegner, wie vorliegend, im Nachhinein unter Abwägung der Sicherheitsrelevanz des...