Leitsatz (amtlich)

1. Die Möglichkeit der Urteilsergänzung ist nur dann eröffnet, wenn das Urteil versehentlich lückenhaft ist, nicht dagegen, wenn ein prozessualer Anspruch bewusst nicht beschieden worden ist.

2. An einer Entscheidungslücke fehlt es, wenn der Tenor den gesamten Streitstoff erfasst. Ob eine Entscheidungslücke vorliegt, beurteilt sich nach dem Tatbestand des Urteils.

3. Die Ablehnung eines Antrags auf Urteilsergänzung erfordert nicht stets die Entscheidung durch Urteil nach mündlicher Verhandlung.

4. Durch den Antrag auf Urteilsergänzung darf nicht die Möglichkeit eröffnet werden, ein umfassendes und sich auf alle Aspekte des Streitstoffs beziehendes Urteil nach seinem Erlass neben einem Rechtsmittel erneut der Befassung des Gerichts zu unterziehen.

 

Verfahrensgang

LG Stade (Aktenzeichen 5 O 258/17)

 

Tenor

Der Antrag der Klägerin vom 27.07.2020 auf Ergänzung des am 21.07.2020 ergangenen Urteils wird als unstatthaft verworfen.

 

Gründe

Der auf Ergänzung des am 21.07.2020 ergangenen Urteils gerichtete Antrag der Klägerin ist schon nicht statthaft. Er war daher ohne Weiteres, insbesondere ohne vorherige mündliche Verhandlung zu verwerfen.

1. Die Voraussetzungen, unter denen ein bereits erlassenes Urteil ergänzt werden kann, liegen nicht vor.

Nach § 321 ZPO kann ein Urteil ergänzt werden, wenn es lückenhaft ist. Die Norm dient allein der Ergänzung eines lückenhaften Urteils (BVerfG, Beschluss vom 27.04.2000, 1 BvR 2077/99 - zitiert nach juris; BGH, Urteil vom 30.09.2009, VIII ZR 29/09 - zitiert nach juris), nicht hingegen der Richtigstellung eines falschen Urteils (BGH aaO). Die Möglichkeit der Urteilsergänzung ist daher überhaupt nur dann eröffnet, wenn das Urteil versehentlich lückenhaft ist, es sich als ergänzungsbedürftige Teilentscheidung darstellt (BGH aaO); nicht dagegen, wenn ein prozessualer Anspruch bewusst nicht beschieden worden ist (BGH, Urteil vom 16.12.2005, V ZR 230/04 - zitiert nach juris), mag dies auch auf einem Rechtsirrtum beruhen (zB BGH, Beschluss vom 05.03.2019, VIII ZR 190/18 -zitiert nach juris). Im letztgenannten Fall ist grundsätzlich nur ein Rechtsmittel eröffnet.

Für ein Ergänzungsurteil ist nur Raum, wo sonst nach Rechtskraft des mangelhaften Urteils ein Anspruch weder zugesprochen noch abgewiesen wäre, dem Fordernden also allenfalls die Möglichkeit eines neuen Rechtsstreits offen stünde (BGH, Urteil vom 05.02.2003, IV ZR 149/02 - zitiert nach juris), denn durch eine solche Auslassung ist er nicht iS des Rechtsmittelrechts beschwert (BGH, Urteil vom 27.11.1979, VI ZR 40/78 - zitiert nach juris). An einer Entscheidungslücke fehlt es, wenn der Tenor den gesamten Streitstoff erfasst (BGH aaO). Ob eine Entscheidungslücke vorliegt, beurteilt sich nach dem Tatbestand des Urteils.

2. Nach diesen Anforderungen ist das Urteil vom 21.07.2020 jedoch nicht lückenhaft, denn der Senat hat sich mit der Berufungserweiterung der Klägerin aus dem Schriftsatz vom 14.07.2020 auseinandergesetzt. Auf Seite 17 des Urteils heißt es unter Ziffer 9. ausdrücklich:

Insoweit kommt es allein auf die Reihenfolge der eingegangenen Anträge an: Mit dem zuerst eingegangenen Anerkenntnis war der Streitgegenstand der weiteren Befassung durch den Senat entzogen und der Senat gemäß § 307 S. 1 ZPO gesetzlich verpflichtet, ein Anerkenntnisurteil zu erlassen. Die zeitlich danach eingegangene Berufungserweiterung ging deswegen ins Leere und war nicht mehr geeignet, den zu diesem Zeitpunkt bereits insoweit beendeten Rechtsstreit fortzusetzen. Eine Berufung, die nicht mehr existiert, kann nicht "erweitert" werden. Insofern durfte über eine gegenstandslose "Erweiterung" auch nicht mündlich verhandelt werden.

Daraus wird deutlich, dass nach der Auffassung des Senates die Berufungserweiterung schon gar nicht Streitstoff geworden ist. Eine Lücke des Urteils liegt damit gerade nicht vor. Insoweit hat auch der Bundesgerichtshof klargestellt, dass in den Fällen, in denen das Gericht bewusst über einen Anspruch nicht entschieden hat - auch wenn es davon ausging, dass der Anspruch nicht (mehr) rechtshängig war - keine Urteilsergänzung, sondern nur ein Rechtsmittel zulässig ist (BGH, Urteil vom 05.03.2019, VIII ZR 190/18 - zitiert nach juris).

Im Ergebnis zutreffend führt auch das Kammergericht aus (KG, Beschluss vom 31.10.2018, 21 U 24/16 zitiert nach juris, RN 9), dass die Ablehnung eines Antrags auf Urteilsergänzung nicht stets die Entscheidung durch Urteil nach mündlicher Verhandlung erfordert.

Denn durch den Antrag auf Urteilsergänzung darf der den Antrag nach § 321 ZPO stellenden Partei nicht die Möglichkeit eröffnet werden, ein umfassendes und sich auf alle Aspekte des Streitstoffs beziehendes Urteil nach seinem Erlass neben einem Rechtsmittel erneut der Befassung des Gerichts zu unterziehen. Dies hätte nämlich zur Folge, dass dem Ausgangsgericht gleichsam "durch die Hintertür" die Möglichkeit einer nochmaligen eigenen Überprüfung und Abänderung gegeben wäre, die aber im Rechtsmittelsystem der ZPO nicht vorgesehen ist. Klarstel...

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