Leitsatz (amtlich)

Volljährige Kinder können während des freiwilligen sozialen Jahres auch dann einen Unterhaltsanspruch haben, wenn dies nicht zwingende Voraussetzung für einen bereits beabsichtigten weiteren Ausbildungsweg ist.

 

Normenkette

BGB § 1610 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Hannover (Beschluss vom 23.08.2011; Aktenzeichen 602 F 5323/10)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Hannover vom 23.8.2011 unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels dahin geändert, dass sich die Verfahrenskostenhilfe für die erste Instanz auch auf die Geltendmachung eines Unterhalts von monatlich 353 EUR ab August 2011 erstreckt.

 

Gründe

I. Der am ... 1992 geborene Antragsteller nimmt den Antragsgegner, seinen Vater, auf Unterhalt ab April 2010, d.h. ab Eintritt der Volljährigkeit, in Anspruch. Der Antragsteller besuchte bis Juli 2011 die Realschule, die er mit dem erweiterten Realschulabschluss verließ. Seit August 2011 absolviert er in einer Pflegediensteinrichtung ein freiwilliges soziales Jahr. Er erhält in dieser Zeit ein Taschengeld von 198 EUR. Die Einrichtung übernimmt außerdem die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge. Ab August 2012 beabsichtigt der Antragsteller ein Gymnasium zu besuchen, um das Fachabitur zu erreichen.

Das AG hat dem Antragsteller für seine Unterhaltsforderungen bis einschließlich Juli 2011 teilweise die nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe (VKH) bewilligt, für den letzten Zeitabschnitt von Mai bis Juli 2011 hinsichtlich eines Monatsbetrages von 264 EUR. Insoweit ist es davon ausgegangen, dass sich der Unterhaltsbedarf des Antragstellers aufgrund des Gesamteinkommens beider Eltern nach der 6. Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle bemisst (Tabellensatz 625 EUR) und unter Anrechnung des Kindergeldes von 184 EUR monatlich 441 EUR beträgt. Da die Mutter seit Mai 2011 unter Berücksichtigung ihrer Rente von monatlich 1.082 EUR und ihres Krankenversicherungsbeitrags von monatlich 223 EUR nicht (mehr) leistungsfähig ist, hat das AG insoweit allein den Antragsgegner für unterhaltspflichtig angesehen. Da dieser bisher monatlich 177 EUR freiwillig gezahlt hatte, hat das AG dem Antragsteller nur zur Geltendmachung der rückständigen Beträge von monatlich 264 EUR VKH bewilligt. Für die Zeit ab August 2011 hat es dagegen VKH mangels hinreichender Erfolgsaussicht des Unterhaltsbegehrens versagt. Es hat die Auffassung vertreten, während der Absolvierung des freiwilligen sozialen Jahres bestehe nur dann ein Unterhaltsanspruch, wenn diese Tätigkeit als Voraussetzung für eine andere Ausbildung (z.B. zum Altenpfleger) gefordert werde. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Außerdem sei der Unterhaltsbedarf während des freiwilligen sozialen Jahres in der Regel durch Unterkunft und Verpflegung, Taschengeld und Sozialversicherung gedeckt.

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, soweit die VKH auf die Zeit ab August 2011 versagt worden ist. Er weist darauf hin, dass er lediglich Taschengeld, aber keine sonstigen Leistungen, insbesondere keine kostenfreie Unterkunft und Verpflegung erhalte, und ist der Auffassung, dass ihm während des an die Schulausbildung anschließenden freiwilligen sozialen Jahres weiter ein Unterhaltsanspruch zustehe.

Der Antragsteller hat seine Unterhaltsforderung für die Zeit ab April 2011 auf (nur) monatlich 397 EUR beziffert. Er wohnt weiterhin im Haushalt seiner Mutter. Der Antragsgegner verfügt über Einkünfte (einschließlich eines Wohnvorteils) von monatlich 2.084 EUR.

II. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und teilweise begründet. Das Unterhaltsbegehren des Antragstellers bietet auch für die Zeit ab August 2011 teilweise die zur Bewilligung von VKH erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1. Zwar wird die vom AG vertretene Auffassung, während der Absolvierung eines freiwilligen sozialen Jahres bestehe nur dann ein Unterhaltsanspruch, wenn es sich dabei um die notwendige Voraussetzung für ein beabsichtigtes Studium oder eine beabsichtigte Ausbildung (zu einem sozialen Beruf) handelt (vgl. OLG Naumburg FamRZ 2008, 86; OLG Schleswig OLGReport Schleswig 2008, 196; OLG München FamRZ 2002, 1425 (Leitsatz) = OLGR 2002, 142; Wendl/Dose/Klinkhammer Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 8. Aufl., § 2 Rz. 489; Palandt/Brudermüller BGB, 70. Aufl., § 1610 Rz. 19; Seiler in: Gerhardt/von Heintschel-Heinegg/Klein Handbuch des Fachanwalts Familienrecht 8. Aufl. 6. Kapitel Rz. 239; Botur in: Büte/Poppen/Menne Unterhaltsrecht 2. Aufl., § 1610 BGB Rz. 40) oder die Eltern einverstanden gewesen seien (OLG Stuttgart FamRZ 2007, 1353), in Rechtsprechung und Literatur allgemein geteilt. Zur Begründung wird dabei darauf verwiesen, dass ein nicht zur weiteren Ausbildung erforderliches freiwilliges soziales Jahr selbst keine angemessene Vorbildung zu einem Beruf i.S.d. § 1610 Abs. 2 BGB darstelle.

2. Diese Rechtsauffassung kann jedoch nach Ansicht des Senats angesichts der geltenden Rechtsla...

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