Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwerde gegen eine durch einstweilige Anordnung genehmigte vorläufige Unterbringung einer Minderjährigen zulässig
Leitsatz (redaktionell)
Eine einstweilige Anordnung über die Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines minderjährigen Kindes ist mit der Beschwerde anfechtbar.
Normenkette
FamFG § 57 S. 1, § 167 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
AG Verden (Aller) (Beschluss vom 18.02.2010; Aktenzeichen 5 F 55/10) |
Tenor
Die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Verden (Aller) vom 18.2.2010 - 5 F 55/10 - wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die vorläufige Unterbringung der unter gemeinsamer elterliche Sorge ihrer geschiedenen Eltern stehenden 17jährigen Betroffenen ist auf Antrag ihrer Mutter durch den angefochtenen Beschluss für die Dauer von sechs Wochen im Wege der einstweiligen Anordnung familiengerichtlich genehmigt worden. Die Betroffene leide an einer emotionalen Störung des Sozialverhaltens mit suizidalen Gedanken sowie an einer atypischen Anorexie mit Gewichtsverlust.
In dem Beschluss ist ein Verfahrensbeistand bestellt worden. Die persönliche Anhörung der Betroffenen ist nach Beschlussfassung noch am selben Tag nachgeholt worden.
Mit ihrer - nicht näher begründeten - Beschwerde wendet sich die Betroffene dagegen, dass man sie "zum Aufenthalt (unberechtigt) in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ... zwingt".
II.1. Die Beschwerde ist zulässig.
Die Beschwerde nach § 58 Abs. 1 FamFG ist das statthafte Rechtsmittel gegen die Genehmigung der vorläufigen Unterbringung Minderjähriger durch einstweilige Anordnung. Dem steht insb. § 57 S. 1 FamFG nicht entgegen.
Die Frage, ob eine einstweilige Anordnung der Unterbringung eines minderjährigen Kindes nach § 1631b BGB gem. § 57 S. 1 FamFG unanfechtbar ist, wird in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt.
Einerseits wird § 57 FamFG für unmittelbar anwendbar gehalten mit der Folge, dass die einstweilige Anordnung über die Unterbringung eines Minderjährigen unanfechtbar wäre (OLG Koblenz vom 14.12.2009 - 11 UF 766/09; Zöller/Philippi/Herget, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 167 FamFG Rz. 11; missverständlich: Bumiller/Harders, FamFG, 9. Aufl. 2009, § 331 Rz. 24). Begründet wird dies damit, dass es sich bei der Unterbringung als Kindschaftssache nach § 151 Nr. 6 FamFG um eine Familiensache nach § 111 Nr. 2 FamFG handelt, so dass die Entscheidung über die einstweilige Anordnung gem. § 57 S. 1 FamFG nicht anfechtbar sei, weil die Unterbringung nicht in dem Katalog des § 57 S. 1 FamFG aufgeführt sei.
Nach einer anderen Auffassung wird es für möglich gehalten, dass die Anordnung der vorläufigen Unterbringung einen Teilbereich der elterlichen Sorge betrifft, so dass die Beschwerde gem. § 57 S. 2 Nr. 1 FamFG zulässig wäre, wenn die Entscheidung auf Grund mündlicher Erörterung ergangen ist (Prütting/Helms/Stößer, FamFG, 2009, § 167 Rz. 20; Bruns: Rechtsmittel gegen einstweilige Anordnung zur Genehmigung der mit Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung eines minderjährigen Kindes?, FamFR 2010, 100). Diese Auffassung übersieht aber, dass in § 151 FamFG ausdrücklich zwischen Verfahren, die die elterliche Sorge betreffen (Nr. 1) und Verfahren, die die Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung betreffen (Nr. 6) differenziert wird und der Gesetzgeber damit bewusst zwischen diesen Verfahren unterscheiden wollte. Insofern hätte er diese Unterscheidung auch in § 57 S. 2 FamFG vornehmen müssen.
Außerdem würde damit die im einstweiligen Anordnungsverfahren zur Genehmigung einer Unterbringung atypische und gem. §§ 167 Abs. 1, 331 S. 1 FamFG entbehrliche Durchführung eines Erörterungstermins nach § 32 Abs. 1 S. 1 FamFG mit den Beteiligten (Betroffene, Personensorgeberechtigte, Verfahrensbeistand) doch wieder erforderlich werden, um eine Beschwerde erheben zu können. Hat eine solche mündliche Erörterung nicht stattgefunden - die persönliche Anhörung der Betroffenen allein dürfte dazu nicht ausreichen - wäre vorrangig nach § 54 Abs. 2 FamFG Antrag auf erneute Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung zu stellen, bevor die Beschwerde zulässig wird. Angesichts der höchstzulässigen Dauer der einstweiligen Anordnung von sechs Wochen (§ 333 S. 1 FamFG) und der notwendigen angemessenen Frist vor dem Erörterungstermin (§ 32 Abs. 2 FamFG) würde dies eine Beschwerdemöglichkeit in vielen Fällen faktisch ausschließen.
Zu folgen ist der Auffassung, dass die Beschwerde nach § 58 Abs. 1 FamFG gegen einstweilige Anordnungen über die Unterbringung Minderjähriger ohne weiteres statthaft ist (Heilmann in MünchKomm zur Zivilprozessordnung, 2010, § 167 FamFG Rz. 18; Soyka in MünchKomm zur Zivilprozess-ordnung, 2010, § 57 FamFG Rz. 3; Bumiller/Harders, § 57 Rz. 3; Breuers: Das neue Verfahrensrecht in Familiensachen - offene Fragen, FuR 2010, 84; Stockmann: Zuläs...