Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Erstreckung des Zuwendungsverzichts auf Abkömmlinge des Verzichtenden
Leitsatz (amtlich)
Keine Erstreckung des Zuwendungsverzichts auf den Abkömmling des Verzichtenden, wenn der Abkömmling ausdrücklich als Ersatzerbe des Verzichtenden bestimmt ist, der Verzichtende weder ein Abkömmling noch ein Seitenverwandter des Erblassers ist und der Zuwendungsverzicht nicht mit einer vollständigen Abfindung des Verzichtenden verbunden war.
Normenkette
BGB §§ 2349, 2352 S. 3
Verfahrensgang
AG Syke (Aktenzeichen 6 VI 657/21) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird geändert und der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 vom 28. September 2021 zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 615.333,33 EUR.
Gründe
A. Die Beteiligte zu 3 wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Feststellung des Amtsgerichts, es sei der gemeinschaftliche Erbschein zu erteilen, der als Miterben zu je 1/2 die Beteiligten zu 1 und 2 ausweist, die ehemaligen Nachbarn der Erblasserin.
Seit dem 22. Mai 1970 war die am 15. September 1920 geborene und am 24. Februar 2021 verstorbene Erblasserin in zweiter Ehe mit dem am 15. Dezember 1911 geborenen und am 20. Juli 1982 verstorbenen J. W. verheiratet. Die am 31. Dezember 1939 geborene Beteiligte zu 3 ist dessen Tochter aus erster Ehe und die Mutter der am 24. Oktober 1966 ehelich geborenen Beteiligten zu 4 (Geburtsurkunde vom 28. Oktober 1966, Bl. 12 d.A.).
Die Erblasserin und ihr zweiter Ehemann schlossen den notariellen Ehe- und Erbvertrag vom 23. Juni 1970 (Bl. 55-58 der Testamentsakten 6 IV 1008/19 Amtsgericht Syke). Die Eheleute vereinbarten Gütertrennung. Der Ehemann setzte die Erblasserin und die Beteiligte zu 3 zu gleichen Teilen als Erben ein. Als Vorausvermächtnis wandte er der Erblasserin das - wenn sie nicht wiederheiratet lebenslängliche - Nießbrauchsrecht an dem Grundstück in B. zu. Die Erblasserin setzte den Ehemann als Alleinerben ein. Der Überlebende der Ehegatten setzte jeweils die Beteiligte zu 3 als "Alleinerbin" ein und bestimmte:
"Ersatzerben sind deren ehelichen Abkömmlinge stammesweise zu gleichen Teilen."
Der Ehemann der Erblasserin verstarb am 20. Juli 1982.
Die Erblasserin und die Beteiligte zu 3 schlossen den notariellen Vertrag zur "Erbauseinandersetzung mit Erbverzicht" vom 16. September 2019 (Bl. 38-44 der Testamentsakten). In der Urkunde ist festgestellt, dass die Erblasserin und die Beteiligte zu 3 Erben des Ehemanns der Erblasserin zu je 1/2-Anteil sind und zum Nachlass nur noch der Grundbesitz in B. mit einem Verkehrswert von ca. 250.000 EUR gehört. Diese Erbengemeinschaft setzten die Vertragsbeteiligten dahin auseinander, dass die Beteiligte zu 3 alleinige Eigentümerin wird und die Erblasserin auf ihren Nießbrauch verzichtet. Weiter heißt es im Vertrag:
"§ 3 Ausgleichszahlungen/Gegenleistungen
3.1.1 Ausgleichszahlungen zwischen den Beteiligten werden nicht vereinbart.
3.1.2 Gemäß Erbvertrag zwischen J. W. und (der Erblasserin) vom 23. Juni 1970 ... ist Schlusserbe nach dem Tode des Längerlebenden von ihnen die (Beteiligte zu 3). (Der Ehemann der Erblasserin) ist bereits verstorben, sodass (die Beteiligte zu 3) Alleinerbin nach der (Erblasserin) werden würde. (Die Erblasserin) möchte jedoch neu über ihren Nachlass verfügen.
3.1.3 Als Gegenleistung für die heutige Zuwendung und den Verzicht auf den Nießbrauch verzichtet daher die (Beteiligte zu 3), hiermit für sich persönlich und für ihre Abkömmlinge auf alle Erbansprüche beim Tode der (Erblasserin). Diese nimmt den Verzicht an.
3.1.4. Der Verzicht kann nur von den Erschienenen gemeinsam wieder aufgehoben oder geändert werden.
3.1.5 Der Notar hat die Erschienenen ausdrücklich über die Folgen dieses Vertrages belehrt."
In seiner Kostenrechnung für diese Beurkundung vom 26. September 2019 setzte der Notar als Geschäftswert 350.000 EUR an (Bl. 15 d.A.).
Mit notariell beurkundetem Testament vom 25. Oktober 2019 (Bl. 60-64 der Testamentsakten) widerrief die Erblasserin unter Verweis auf die notariellen Urkunden vom 23. Juni 1970 und 16. September 2019, "soweit rechtlich möglich", sämtliche früheren Verfügungen von Todes wegen, setzte die am 21. Februar 1968 geborene Beteiligte zu 1 und die am 7. Februar 1947 geborene Beteiligte zu 2 als Erben zu je 1/2 ein und ordnete Vermächtnisse an.
Am 24. Februar 2021 verstarb die Erblasserin.
Die Beteiligte zu 1 hat die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt, der die Beteiligten zu 1 und 2 als Miterben zu je 1/2 ausweist.
Den Nachlasswert hat sie mit 923.000 EUR angegeben.
Die Beteiligte zu 3 hat der Erbscheinserteilung widersprochen und geltend gemacht, der Zuwendungsverzicht sei unwirksam.
Das Amtsgericht hat Beweis erhoben in der Sitzung vom 19. Oktober 2022 (Bl. 90 ff. d.A.) durch Vernehmung des Notars Dr. S. und der Beteiligten zu 4 als Zeugen.
Mit Beschluss vom 19. Dezember 2022 (Bl. 122 ff. d.A.) hat das Amtsgericht festgestellt, es sei ein Erbschein zu erteilen, der die Beteiligten zu 1 und 2 als Miterben zu je 1/2 ausweist. Zur Begründung hat es im Wesentlichen aus...