Guter Glaube an Testierfähigkeit genießt keinen Schutz
Eine durch Testament oder auch durch Erbvertrag zum Alleinerben eingesetzte Person trägt das alleinige Risiko dafür, dass die testamentarische bzw. die erbvertragliche Erbeinsetzung wirksam ist. Stellt sich später heraus, dass die Erblasserin nicht die erforderliche Testierfähigkeit oder Geschäftsfähigkeit besaß, so ist der testamentarisch oder durch Erbvertrag eingesetzte Erbe verpflichtet, den Nachlass an die gesetzlichen Erben herauszugeben. Dies gilt auch dann, wenn ihm die Testierunfähigkeit oder die mangelnde Geschäftsfähigkeit der Erblasserin nicht bekannt war.
Durch Testament und Erbvertrag zum Alleinerben eingesetzt
Diese Auffassung hat das OLG Celle in einem Fall vertreten, in dem ein Steuerberater von seiner alleinstehenden, kinderlosen Mandantin zum Alleinerben eines millionenschweren Nachlasses eingesetzt worden war. Die Erblasserin hatte den Steuerberater sowohl durch testamentarische Verfügung im Jahr 2008 als auch durch einen im Jahr 2014 notariell geschlossenen Erbvertrag zum Alleinerben eingesetzt.
Erfolgloser Antrag auf Erteilung eines Erbscheins
Nach dem Tod seiner Mandantin im Jahr 2015 beantragte der Steuerberater beim Nachlassgericht die Erteilung eines ihn als Alleinerben ausweisenden Erbscheins. Zur Überraschung des Steuerberaters verweigerte das Nachlassgericht die Erteilung des beantragten Erbscheins. Aufgrund bestimmter Anhaltspunkte über das Vorliegen psychischer Störungen der Erblasserin sah sich das Nachlassgericht veranlasst, ein psychiatrisches Gutachten über den psychischen Gesundheitszustand der Erblasserin zu deren Lebzeiten einzuholen.
Erblasserin war nicht testierfähig
Der vom Gericht beauftragte Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass die Erblasserin zu Lebzeiten unter Wahnvorstellungen litt. Der Gutachter hatte hierzu eine Reihe von Zeugen gehört, darunter Ärzte und Notare, denen die Erblasserin gut bekannt war. Aus den Aussagen dieser Zeugen zog der Sachverständige den Schluss, dass die Erblasserin sowohl bei Errichtung des Testaments im Jahr 2008 als auch bei Unterzeichnung des Erbvertrages im Jahre 2014 nicht testierfähig bzw. nicht geschäftsfähig war.
Steuerberater macht Gutgläubigkeit geltend
Das Nachlassgericht hielt das vom Sachverständigen gefundene gutachterliche Ergebnis für nachvollziehbar und überzeugend und verweigerte endgültig die Erteilung des beantragten Erbscheins. Der Steuerberater beschritt hierauf den gerichtlichen Instanzenweg. Er machte geltend, dass er selbst die Erblasserin gut gekannt habe. Diese sei sowohl zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments als auch zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erbvertrages geistig voll orientiert und bei Sinnen gewesen. Er habe daher gutgläubig auf die Testierfähigkeit der Erblasserin sowie darauf vertrauen dürfen, dass ihm das Erbe zufalle.
Es kommt allein auf die Testierfähigkeit der Erblasserin an
Dies sahen die Gerichte bis hin zum OLG anders. Der OLG-Senat machte in einem ausführlichen Hinweis klar, dass es für den Anfall der Erbschaft allein auf die Testierfähigkeit bzw. die Geschäftsfähigkeit der Erblasserin ankommt. Für die Anwendung der gesetzlichen Regeln über den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten gemäß § 932 BGB sei in einem solchen Fall kein Platz.
Kein gutgläubiger Erwerb der Erbenstellung
Die für den rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb geltende Regelung des § 932 BGB könne auf eine Erbeinsetzung durch Testament oder durch Erbvertrag auch nicht analog angewendet werden. Im Erbrecht sei dem frei gebildeten Willen des Erblassers eine vorrangige Bedeutung einzuräumen. Zu einer solchen freien Willensbildung sei die von Wahnvorstellungen geplagte Erblasserin bei Errichtung des Testaments und bei Abschluss des Erbvertrages nicht in der Lage gewesen. Der vom Gericht unterstellte gute Glaube des Steuerberaters sei in diesem Fall nicht schutzwürdig und könne daher auch nicht zum Anfall der Erbschaft führen.
Rücknahme der Berufung
Nachdem das OLG den Steuerberater auf die Erfolglosigkeit seiner gegen das klageabweisende Urteil des LG eingelegten Berufung hingewiesen hatte, nahm dieser die eingelegte Berufung zurück.
(OLG Celle, 6 U 2/22)
Hintergrund:
Die Bewertung des OLG der fehlenden Bedeutung der Gutgläubigkeit im Rahmen einer Einsetzung als Alleinerbe in einem Testament oder durch notariellen Erbschaftsvertrag ist wenig überraschend. Die Konsequenzen können allerdings erheblich sein, denn hiernach können Personen, die ein vermeintliches Erbe gutgläubig angetreten haben, auch nach Jahren noch verpflichtet sein, den Nachlass an die wahren Erben herauszugeben. Dies kann mit erheblichen praktischen Komplikationen verbunden sein, wenn vermeintliche Erben bereits über Nachlassgegenstände verfügt haben oder Aufwendungen hatten, die dann gegebenenfalls nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag zu ersetzen sein können.
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