Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkehrssicherungspflicht des Reiseveranstalters im Ausland; Schriftliche Vernehmung ausländischer Zeugen
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Reiseveranstalter hat reisevertraglich unabhängig von einem Verschulden für den Erfolg und die Fehlerfreiheit der Gesamtheit der Reiseleistungen einzustehen. Deshalb stellen Beeinträchtigungen aufgrund von Sicherheitsdefiziten in seinem Verantwortungsbereich, mit denen der Reisende nicht zu rechnen braucht und die er deshalb nicht willentlich in Kauf nimmt, ungeachtet ihrer Ursache einen Reisemangel dar.
2. Bei der Bestimmung des vom Reiseveranstalter jedenfalls im Bereich der Unterkunft zu gewährleistenden Maßes an Sicherheit kommt es im Ausgangspunkt auf das Schutzbedürfnis eines durchschnittlichen Reisenden an, der an die in Deutschland bestehenden Verhältnisse und die hier vorherrschenden Sicherheitsvorstellungen gewöhnt ist. Dessen Schutzbedürfnis können die deutschen Gerichte grundsätzlich selbst bestimmen. Davon unberührt bleiben etwaige einschlägige örtliche Bau- und Sicherheitsvorschriften.
3. Der Gedanke, dass ein Reisender bei einer Auslandsreise - insbesondere bei einer Reise in ein überseeisches Entwicklungs- oder Schwellenland - nicht unbedingt diejenige Umwelt erwarten könne, die er bewusst verlassen habe, und dass derjenige, der ins Ausland reise, sich nun einmal einem erhöhten Risiko aussetze, trifft jedenfalls für die Absicherung der gebuchten Unterkunft gegen Verletzungsrisiken des Reisenden im Regelfall nicht zu.
4. Kann ein Reisender in einem ihm fremden Gebäudeteil des Hotels die nähere Umgebung aufgrund ungünstiger Lichtverhältnisse nicht ausreichend wahrnehmen, darf er diese nicht ohne Not gleichsam blindlings betreten, ohne sich im Falle eines Sturzes ein erhebliches Mitverschulden vorwerfen lassen zu müssen.
5. Außerhalb Deutschlands lebende Zeugen dürfen von einem deutschen Gericht nicht ohne förmliche Beteiligung ihres Heimatsstaats schriftlich vernommen werden.
Normenkette
BGB §§ 254, 280 Abs. 1, § 651c Abs. 1 a.F.; ZPO §§ 363, 377 Abs. 3, § 1072
Verfahrensgang
LG Hannover (Aktenzeichen 5 O 89/18) |
Tenor
Die Berufung ist nicht ohne Aussicht auf Erfolg, weswegen eine Zurückweisung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO nicht in Betracht kommt. Der Senat regt eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits an.
Gründe
Im Einzelnen:
I. Die Kläger nehmen die Beklagte als Veranstalterin einer Pauschalreise nach T. wegen Minderung auf teilweise Rückzahlung des Reisepreises sowie auf Entschädigung wegen vertanen Urlaubs und auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch.
Das klagende Ehepaar buchte bei der Beklagten eine 28-tägige Flugpauschalreise von F. zur Insel K. S. in T. für insgesamt 4.434,28 EUR. Am 16. Reisetag stürzte die Klägerin zur Mittagszeit auf einer dreistufigen Treppe, die sich im Strandrestaurant der Hotelanlage befand. Die Treppe führt aus dem Gästeraum des Restaurants in einen schmalen Gang, an dessen Ende sich, kurz vor dem offenen Ausgang ins Freie, seitlich Türen zur Toilettenanlage befinden. Der Gang war lediglich "schummerig" mit künstlichem Licht beleuchtet. In den Gästeraum des Restaurants, von dem aus die Klägerin die Treppe betrat, trat zum Unfallzeitpunkt nur von außen durch die Fensteröffnungen natürliches Licht. Die Klägerin brach sich das Sprungbein am rechten Fußrücken und zog sich außerdem tiefe Platz- und Fleischwunden sowie den Riss einer Vene zu, was mit einem großen Blutverlust verbunden war. Die Parteien streiten nicht nur um die Ausprägung der Verletzungsfolgen und deren Auswirkungen auf die verbliebenen Reisetage, sondern insbesondere auch darum, ob die Beklagte dem Grunde nach für den Unfall wegen einer Verletzung der sie treffenden Verkehrssicherungspflicht haften muss.
Die Kläger behaupten, die Treppe sei für die Klägerin aufgrund der ungünstigen Lichtverhältnisse nicht wahrnehmbar gewesen. Vom anderen Ende des Gangs, dem offenen Ausgang ins Freie, sei grelles Licht in den Gang gedrungen. Wegen der davon ausgehenden Blendung sei das Innere des Gangs - und auch die an dessen Beginn liegenden drei Treppenstufen - für die Klägerin nicht erkennbar gewesen. Deshalb sei sie auf dem Weg zu der Toilettenanlage hingefallen. Die Beklagte bestreitet den gesamten Unfallhergang, den unstreitig niemand beobachtet hat, mit Nichtwissen. Sie behauptet, die Klägerin sei ausgerutscht, weil ihre Füße noch vom Meerwasser nass gewesen seien. Sie behauptet weiter, dass die Treppenstufen, unter anderem wegen einer gelben Markierung auf deren Oberseite, gut erkennbar gewesen seien. Sie meint schließlich, die Klägerin müsse sich jedenfalls den Einwand des Mitverschuldens entgegenhalten lassen, weil sie - nach dem Vorbringen der Kläger - einen Bereich betreten habe, obwohl sie dessen Beschaffenheit nicht hinreichend erkennen konnte.
Das Landgericht hat der Klage zum überwiegenden Teil stattgegeben. Es hat für die Zeit ab dem Tag des Unfalls eine Minderung des Reisepreises um 70 % für die Klägerin und um 50 % für den mittelbar betroffenen Klä...