Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigenhaftung des Anlageberaters für Falschberatung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Finanzdienstleister, der im Wege des Strukturvertriebes Handelsvertreter für sich tätig werden lässt, hat grundsätzlich wegen pVV eines durch den Handelsvertreter zu ihm begründeten Beratungsvertrages selbst einzustehen, weil für den Anlageinteressenten allein die vertragliche Bindung zu dem Großunternehmen mit Erfahrung, Markt- und Spezialkenntnissen und Renommee von Interesse ist, während der Interessent regelmäßig die Kenntnisse und Fähigkeiten des Handelsvertreters nicht beurteilen kann und kennt (Festhaltung an OLG Celle v. 5.9.2002 - 11 U 310/01, OLGReport Celle 2002, 277 = DB 2002, 2211).
2. Dasselbe gilt für eine Anlagegesellschaft. Lässt diese im Wege des Strukturvertriebes Handelsvertreter für sich tätig werden, hat sie grundsätzlich wegen positiver Vertragsverletzung eines durch den Handelsvertreter zu ihr begründeten Beratungsvertrages selbst einzustehen.
3. Soweit daneben ausnahmsweise die Eigenhaftung des Handelsvertreters in Betracht kommt, trifft diese in der Regel den unmittelbar Handelnden. Die Haftung eines anderen Handelsvertreters aus demselben Strukturvertrieb, der die Vermögensanalyse und Vermögensplanung am Computer erstellt hat, ansonsten aber im Hintergrund geblieben ist, kommt nur in Betracht, wenn ein Fall einer rechtsgeschäftlichen Vertretung vorliegt, woran es von vornherein fehlt, wenn noch nicht einmal ein Handeln in dessen Namen festgestellt werden kann.
4. Ein für den behaupteten Schaden kausales Beratungsverschulden fehlt in der Regel, wenn der Handelsvertreter das Anlagemodell nicht vollständig zu erläutern vermag, der Anleger aber trotz der offen gebliebenen Fragen den Vertrag unterzeichnet und auch von seinem ihm eingeräumten Widerrufsrecht keinen Gebrauch macht, obwohl die erwartete nachträgliche Aufklärung unterbleibt.
Normenkette
BGB § 164 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Urteil vom 24.10.2005; Aktenzeichen 8 O 216/05) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des LG Verden vom 24.10.2005 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt Schadensersatz wegen falscher Anlageberatung.
Unter dem 23.1.1999 zeichnete die Klägerin eine Beteiligung am Unternehmenssegment VII der S. AG in G. Vorgesehen war eine Beteiligungsdauer von 10 Jahren und eine anzusparende Einlagesumme von 37.800 DM. Es sollte dann zur Auszahlung der erworbenen Beteiligung in monatlichen Beträgen, der sog. "S.", kommen (Bl. 1 ff. AnlH). Die Klägerin leistete eine Einmaleinlage von 2.000 DM (+ 100 DM Agio) sowie anschließend monatliche Zahlungen von 300 DM (+ 15 DM Agio).
Die Klägerin hat behauptet, sie habe mit dem Beklagten, dieser vertreten durch seine Mitarbeiterin, die Zeugin O., einen Beratervertrag geschlossen. Der Beratungstermin am 23.1.1999 sei vom Beklagten vereinbart worden (Bl. 18 d.A.). Es sei dann aber nur die Zeugin O. gekommen, weil der Beklagte verhindert gewesen sei.
In der mündlichen vor dem LG hat die Klägerin - persönlich angehört - angegeben, sie habe selber nie Kontakt zu dem Beklagten gehabt. Der Termin am 23.1. sei mit der Zeugin O., die sie und ihr Ehemann als Landsmännin schon seit längerer Zeit gekannt hätten, abgesprochen gewesen (Bl. 72 d.A.).
Der Beklagte hat bestritten, dass die Zeugin O. seine Mitarbeiterin sei und ihn im Zusammenhang mit der streitigen Anlage rechtsgeschäftlich vertreten habe. Sowohl die Zeugin O. als auch er selbst seien freie Mitarbeiter im Strukturvertrieb der sog. G. Gruppe, zu der die S. AG gehört. Soweit er bei vorangegangenen Beratungsgesprächen der Zeugin O. dabei gewesen sei, so nur um ihr zu helfen, wenn sie nicht mehr weiter gewusst habe (Bl. 71).
Wegen der Feststellungen im Übrigen wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen (Bl. 91 ff. d.A.).
Das LG hat das Zustandekommen eines Beratungsvertrages mit dem Beklagten nach Beweisaufnahme bejaht, ebenso eine positive Verletzung dieses Vertrages durch eine mangelhafte Beratung durch die Zeugin O. als Mitarbeiterin des Beklagten. Es hat der Klage auf Rückzahlung geleisteter Beträge sowie Freistellung von den weiteren Verpflichtungen aus der Beteiligung, Zug um Zug gegen Abtretung der Beteilungsrechte an den Beklagten, stattgegeben.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er seine Passivlegitimation weiterhin bestreitet.
Die Klägerin hat den Rechtsstreit im Hinblick auf einen inzwischen abgeschlossen Prozessvergleich mit der Anlagegesellschaft hinsichtlich Ziff. 1.b) und 2. des Tenors des landgerichtlichen Urteils (Freistellung von weiteren ...