Entscheidungsstichwort (Thema)

Platzen eines Reifens während einer Autobahnfahrt

 

Leitsatz (amtlich)

Vergeht nach Auftreten von unnormalen Fahrgeräuschen einige Zeit, ohne dass darauf reagiert wird, ist dies als schuldhaftes Verhalten des Fahrers zu werten, so dass dieser beim nachfolgenden Platzen eines Reifens für den entstehenden Schaden aufzukommen hat.

 

Normenkette

PfVG §§ 1, 3

 

Verfahrensgang

LG Lüneburg (Urteil vom 25.02.2004; Aktenzeichen 6 O 80/03)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 25.2.2004 verkündete Grund- und Teilurteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des LG Lüneburg wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Am 6.4.2002 befuhren vier Studentinnen und ein Student die Bundesautobahn 250 von Lüneburg in Richtung Hamburg. Am Steuer saß die Zeugin Sch., neben ihr die Zeugin Z. Hinten links saß die Klägerin, hinten rechts die Zeugin K., zwischen den beiden der Zeuge Kr. Das Fahrzeug fuhr auf der rechten Fahrbahn mit etwa 100 km/h, als sich Teile vom Mantel des rechten Hinterreifens lösten. Danach geriet das Kraftfahrzeug auf den linken Fahrstreifen, um sodann in einem Bogen nach rechts von der Autobahn abzukommen und mit der Front gegen einen dort befindlichen Lärmschutzwall zu prallen. Bei diesem Aufprall wurde die Klägerin schwer verletzt. Sie erlitt neben einem Thoraxtrauma, einer Lungenkontusion sowie einer Hyperthermie eine HWK-5-Berstungsfraktur, wodurch eine komplette Querschnittslähmung ab TH 2 bis 3 sowie eine inkomplette Querschnittslähmung ab C 6 und eine komplette ab C 5 eingetreten sind. Vor dem Unfall hatten alle Fahrzeuginsassen Geräusche gehört, die sich von den normalen Fahrgeräuschen unterschieden. Wie lange diese Geräusche wahrgenommen wurden, ist unter den Parteien streitig.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und Ersatz materieller Schäden in Anspruch. Sie hat die bei der Beklagten haftpflichtversicherte Zeugin Sch. für verantwortlich gehalten und ihr als Verschulden angelastet, das Kraftfahrzeug nicht angehalten zu haben, als die Geräusche auftauchten, sondern die Fahrt zunächst unvermindert fortgesetzt zu haben. Erst als das Fahrzeug nach links ausgebrochen sei, habe die Zeugin Sch. den Fuß vom Gas genommen und vergeblich versucht, das Fahrzeug auf der Fahrbahn zu halten. Demgegenüber hat die Beklagte ein Verschulden der Zeugin Sch. an dem Unfall geleugnet und behauptet, zwischen den ersten Anzeichen, dass der Hinterreifen nicht in Ordnung sei, und dem Ausbruch hätten nur Bruchteile von Sekunden gelegen.

Das LG hat nach Vernehmung aller Pkw-Insassen und Anhörung des Sachverständigen Dipl.-Ing. H. die auf Ersatz materieller Schäden gerichtete Klage dem Grunde nach i.H.v. 75 % für gerechtfertigt erklärt und die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 180.000 EUR sowie einer Rente von monatlich 225 EUR ab Dezember 2002 nebst Zinsen verurteilt. Außerdem hat das LG festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin 75 % aller weiteren materiellen Schäden zu ersetzen. Wegen des Weiteren Inhalts dieses Urteils und des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszuge wird auf das Urteil des LG verwiesen.

Mit der Berufung macht die Beklagte geltend, dass das LG infolge falscher Einordnung des zeitlichen Ablaufs zu einer unrichtigen Beweiswürdigung gekommen sei. Die Zeugin Sch. habe nicht fahrlässig gehandelt. Für sie habe kein Anlass bestanden, die Geschwindigkeit herabzusetzen, als sie das Geräusch gehört, aber dem Straßenbelag zugeordnet habe. Es wäre lebensfremd und würde zu chaotischen Verhältnissen auf der Autobahn führen, wenn auf erste Anzeichen von Unregelmäßigkeiten sofort durch Verlangsamen oder Abbremsen reagiert würde, ohne eine Analyse nach dem Grund durchzuführen. Auch ein Fahren auf dem Standstreifen hätte nichts gebracht. Denn die zunächst kleine wulstartige Ausbildung auf der Innenseite des Reifens sei von Außen nicht zu erkennen gewesen. Schließlich hätten auch die anderen Insassen die Fahrerin Sch. nicht angesprochen und gewarnt.

Die Beklagte beantragt daher, das Urteil des LG abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und sieht es weiterhin als Verschulden der Zeugin Sch. an, nicht zumindest sofort die Geschwindigkeit verringert zu haben, als sie die ungewöhnlichen Geräusche hörte.

Im Einzelnen wird wegen des Vortrags der Parteien auf die Berufungsbegründungsschrift der Beklagten vom 27.5.2004 (Bl. 405 bis 413 d.A.) und die Berufungserwiderung der Klägerin vom 6.7.2004 (Bl. 417 bis 423 d.A.) verwiesen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch eine mündliche ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dipl.-Ing. H.. Insoweit wird...

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