OLG Frankfurt: Anscheinsbeweis bei Unfall unter Alkoholeinfluss

Ist an einem Verkehrsunfall ein unter Alkoholeinfluss stehender Kfz-Führer beteiligt, so spricht ein Anscheinsbeweis dafür, dass die Trunkenheit für den Unfall ursächlich war, wenn ein nüchterner Fahrer angemessener hätte reagieren können.

Das OLG Frankfurt hat für Verkehrsunfälle mit alkoholisierten Fahrern entschieden, dass ein Anscheinsbeweis für die Unfallursächlichkeit der Alkoholisierung spricht, wenn die Würdigung des Unfallgeschehens die Annahme rechtfertigt, dass ein nicht alkoholisierter Fahrer die Gesamtsituation besser hätte beherrschen können.

Fahrbahn trotz herannahendem Fahrzeug betreten

Die Klägerin war an dem Unfallgeschehen als Fußgängerin beteiligt. Sie überquerte zusammen mit 4 weiteren Personen eine Stadtstraße, deren Fahrbahnen in der Mitte der Straße durch eine Verkehrsinsel getrennt waren. Als die Gruppe der Fußgänger die Straße betrat, war das herannahende Fahrzeug des Beklagten bereits zu sehen. Bevor die Beklagte die Verkehrsinsel erreichte, wurde sie durch das vom Beklagten geführte Fahrzeug erfasst und durch die Luft geschleudert. Sie erlitt schwere körperliche Verletzungen.

Autofahrer stand unter Alkoholeinfluss

Eine bei dem Fahrer des Unfallfahrzeuges entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,96 Promille. Das erstinstanzlich mit der Sache befasste LG ging von einem beiderseitigen Verschulden der Parteien aus und gab der Klage der Fußgängerin auf Schadenersatz und Schmerzensgeld auf der Grundlage einer Haftungsquote von 50 zu 50 nur teilweise statt.

Autofahrer müssen auf Fehlverhalten von Fußgängern reagieren

Die von der Klägerin eingelegte Berufung hatte teilweise Erfolg. Das OLG bemaß aufgrund der Alkoholisierung des beklagten Fahrers dessen Verschuldensanteil mit 75 %. Der Beklagte hatte nach Auffassung des Senats in hohem Maße gegen das verkehrsrechtliche Rücksichtnahmegebot verstoßen. Als er erkannt habe, dass die Klägerin gemeinsam mit 4 weiteren Fußgängern trotz freier Sicht auf sein herannahendes Fahrzeug die Fahrbahn betrat, habe er nicht mehr auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Fußgängergruppe vertrauen dürfen. Ein umsichtiger Fahrer hätte in dieser Situation seine Geschwindigkeit sofort verlangsamen müssen.

Fehlverhalten des Beklagten als wesentliche Unfallursache

Darüber hinaus habe der Beklagte grob verkehrswidrig gehandelt, indem er alkoholisiert, in einem nicht fahrtüchtigen Zustand, ein Kraftfahrzeug geführt habe. Er habe damit in zweierlei Hinsicht, nämlich durch die unterlassene Bremsung sowie durch die Alkoholisierung die entscheidende Ursache für das anschließende Unfallgeschehen gesetzt.

Beweis des ersten Anscheins für Unfallursächlichkeit der Alkoholisierung

Das OLG unterstellte, dass ein nüchterner Fahrer in der gleichen Situation vorausschauender gehandelt und frühzeitig eine Bremsung eingeleitet hätte. Diese Annahme sei zulässig, da infolge der nur eingeschränkten Fahrtüchtigkeit des Beklagten ein Beweis des ersten Anscheins dafür spreche, dass die Alkoholisierung ursächlich für das anschließende Unfallgeschehen war. Im Fall einer Alkoholisierung gelte dieser Beweis des ersten Anscheins dann, wenn ein Unfall sich in einer Verkehrslage ereignet, die ein nüchterner Fahrer hätte meistern können. Der Senat hatte keine Zweifel, dass ein nüchterner Fahrer aufgrund der freien Sicht bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt rechtzeitig gebremst hätte bzw. hätte bremsen können.

Verschuldungsquote 75 zu 25 zugunsten der Fußgängerin

Das OLG maß der Klägerin allerdings ein Mitverschulden zu. Auch für sie sei die Sicht frei gewesen. Da das herannahende Fahrzeug des Beklagten bereits vor Betreten der Fahrbahn erkennbar gewesen sei, hätte sie das Fahrzeug zunächst passieren lassen müssen und die Fahrbahn erst dann betreten dürfen. Unter Berücksichtigung der Alkoholisierung des Fahrers und der darin liegenden schweren Pflichtwidrigkeit im Straßenverkehr ist nach Auffassung des Senats der Mitverschuldensanteil der Klägerin aber lediglich mit 25 % zu bewerten.

Klägerin hat Anspruch auf 52.500 EUR Schmerzensgeld

Die Berufung der Klägerin war damit im Ergebnis teilweise erfolgreich. Das Gericht hielt ein Schmerzensgeld von insgesamt 70.000 EUR für angemessen, sprach der Klägerin nach Abzug ihres Mitverschuldensanteils von 25 % noch ein Schmerzensgeld in Höhe von 52.500 EUR zu.

Entscheidung noch nicht rechtskräftig

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Zulassung der Revision beantragt werden.

(OLG Frankfurt, Urteil v. 25.1.2024, 26 U 11/23).


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