Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit eines Grundurteils bei ausschließlichem Streit über den Betrag; Zulässigkeit eines Teilurteils; Umfang der Aufhebung und Zurückverweisung; Grundsätze der Schmerzensgeldbemessung
Leitsatz (amtlich)
1. Steht der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nur zur Höhe im Streit, während der Anspruch dem Grunde nach unstreitig ist, darf kein (Teil-)Grundurteil ergehen (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 19. Februar 1991 - X ZR 90/89).
2. Ein Teilurteil darf auch bei grundsätzlicher Teilbarkeit eines Streitgegenstands nur ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen - auch infolge abweichender Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht - ausgeschlossen ist. Steht die Haftung des in Anspruch genommenen Unfallgegners bzw. des Versicherers dem Grunde nach außer Streit, kann hinsichtlich einzelner Schadenspositionen (hier: Schmerzensgeld, Verdienstausfall) dann nicht durch abschließendes Teilurteil entschieden werden, wenn nicht auszuschließen ist, dass die anstehende Beweisaufnahme zu der offenen Schadensposition (hier: Haushaltsführungsschaden) ein Ergebnis erbringen kann, das Auswirkung auf die weiteren Streitpunkte hat (Abgrenzung zu Senat, Urteil vom 08. Juli 2020 - 14 U 27/20 -, juris).
3. Ein unzulässiges Grund- und Teilurteil ist nur im Umfang der Anfechtung aufzuheben und die Sache insoweit an das Erstgericht zurückzuverweisen. Wird ein das Gebot der Widerspruchsfreiheit von Teil- und Schlussurteil verletzendes Teilurteil nur teilweise angefochten, steht einer auf diesen Verfahrensfehler gestützten Aufhebung des gesamten Teilurteils das Verbot der reformatio in peius entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 2012 - V ZR 245/11 -, juris).
4. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist die Berücksichtigung von "Vergleichsrechtsprechung" unentbehrlich.
Normenkette
BGB § 253; ZPO §§ 301, 304, 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7
Verfahrensgang
LG Stade (Aktenzeichen 6 O 344/19) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 09. Juni 2020 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des Landgerichts Stade ≪6 O 344/19≫ einschließlich des Verfahrens insoweit, als die Klage hinsichtlich des geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs abgewiesen worden ist (LGU-Tenor Ziff. 2), aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht Stade zurückverwiesen.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 14.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
(abgekürzt gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO)
I. Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg. Das angefochtene Urteil ist gemäß § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 ZPO im Umfang der Anfechtung aufzuheben und insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht zurückzuverweisen.
1. Bei dem angefochtenen Urteil handelt es sich der Sache nach um ein Grund- und Teil-Schlussurteil im Sinne der §§ 301, 304 ZPO. Denn das Landgericht hat den Rechtstreit nicht insgesamt entschieden, sondern lediglich den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und abschließend über den Schmerzensgeldanspruch, den geltend gemachten Verdienstausfallschaden, die ersetzt verlangten Fahrtkosten sowie das Feststellungsbegehren entschieden; über den Haushaltsführungsschaden und die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat es im Hinblick auf eine ausstehende Beweisaufnahme noch nicht entschieden.
1. Das Landgericht durfte nicht durch Grundurteil entscheiden.
a) Die Zulässigkeit eines Grundurteils richtet sich nach § 304 ZPO. Ein Grundurteil darf nur ergehen, wenn ein Anspruch nach Grund und Betrag streitig ist, grundsätzlich alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt sind, und wenn nach dem Sach- und Streitstand zumindest wahrscheinlich ist, dass der Anspruch in irgendeiner Höhe besteht (st. Rspr., u. a. BGH, Urteil vom 08.09.2016 - VII ZR 168/15, Rn. 21 mwN, juris; vgl. aktuell auch Senat, Urteil vom 08. Juli 2020 - 14 U 27/20 -, Rn. 14, juris). Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils sind in allen Instanzen von Amts wegen zu prüfen (Feskorn in: Zöller, ZPO, 33. Auflage, § 304 Rn. 28 mwN, Senat, aaO). Ist nur der Betrag streitig, nicht dagegen der Grund, darf kein Grundurteil ergehen (vgl. Feskorn in: Zöller, aaO Rn. 5 mwN, u. a. BGH, Urteil vom 19. Februar 1991 - X ZR 90/89, juris-Rn. 6; Senat, aaO, Rn. 15, juris).
b) Ausgehend davon kam ein Grundurteil vorliegend ersichtlich nicht in Betracht, weil der Anspruch dem Grunde nach nicht streitig ist. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach steht nicht im Streit, wie das Landgericht im Übrigen auch ausdrücklich in seinem Urteil festgehalten hat (vgl. LGU S. 2, vorletzter Absatz, und S. 6, erster Absatz).
2. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Teilurteils liegen nicht vor.
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