Leitsatz (amtlich)
1. Es liegt keine zur Leistungsfreiheit führende Gefahrerhöhung in der Wohngebäudeversicherung (hier: Brand) vor, wenn die bisherigen Mieter eines Wohnhauses sich in U-Haft befinden, der Vermieter als Versicherungsnehmer sowie von den Mietern beauftragte Personen aber weiterhin durch ihnen zur Verfügung stehende Schlüssel das Haus kontrollieren, die Miete weiter gezahlt wird und noch vor dem Brand durch den Versicherungsnehmer das zuvor aufgebrochene Schloss einer Seiteneingangstür ersetzt wird und wieder funktionstüchtig schließt.
2. Zur Anfechtung des Vertrages durch den Versicherer bei Angabe des Versicherungsnehmers im Antrag, dass die Vorversicherung durch den Versicherungsnehmer gekündigt wurde.
3. Zu den Indizien einer Eigenbrandstiftung nach § 61 VVG a.F.
4. Für die Neuwertentschädigung fehlt es an der Sicherstellung der Wiederherstellung, wenn der Versicherungsnehmer mit dem Bau nicht begonnen und auch keinen Bauvertrag abgeschlossen hat, sondern nur ein Angebot vorliegt und eine Abwicklung über ein Treuhandkonto erfolgen soll.
Normenkette
VVG §§ 22-23, 81, 93
Verfahrensgang
LG Bückeburg (Urteil vom 19.03.2009; Aktenzeichen 1 O 40/08) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels sowie der Berufung der Klägerin das am 19.3.2009 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Bückeburg teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 97.191,78 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 94.600 EUR seit dem 22.12.2007 zu zahlen, ferner an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 3.246,32 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.3.2008 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtstreits erster und zweiter Instanz tragen die Klägerin 48 % und die Beklagte 52 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einem Versicherungsvertrag nach einem Brandereignis geltend.
Zwischen den Parteien besteht ausweislich des Versicherungsscheins vom 31.3.2006 eine Wohngebäudeversicherung für das mit einem Einfamilienhaus bebaute Grundstück H. straße ... in E. (Bl. 250 bis 259 d.A.). Dem Vertrag liegen verschiedene Versicherungsbedingungen der Beklagten, u.a. die Wohngebäudeversicherungsbedingungen W .../05 zugrunde (Bl. 260 bis 296 d.A.). Die Klägerin, die das Grundstück am 27.10.1998 für 80.000 DM gekauft hatte (Bl. 159 bis 161 d.A.), war zunächst bei der P. Versicherung versichert. Die Umstände der dortigen Vertragsauflösung sind streitig. In dem Versicherungsantrag vom 30.3.2006, der unter Vermittlung der für die Beklagten tätigen ... Bank ... aufgenommen wurde, wurde angegeben, dass das bisherige Versicherungsverhältnis bei der P. durch den Versicherungsnehmer gekündigt worden sei (Bl. 99 bis 101 d.A.).
Die Klägerin, die selbst in Bückeburg wohnt, vermietete, vertreten durch ihren Sohn D. M., mit Vertrag vom 3.6.2005 das Haus an die Eheleute M. und H. S. (Bl. 62 f. d.A.). Wegen Mietrückständen war es im Jahre 2006 zu einem Mietprozess gekommen und das Objekt sollte im Herbst 2006 geräumt werden (Bl. 6 d.A.). Dazu kam es aber nicht mehr, weil im Oktober 2006 die Mieter S. in Untersuchungshaft gerieten.
Am 12.3.2007 kam es zu einem erheblichen Brandschaden in dem Gebäude. Die Beklagte nahm nach erfolgter Schadensanzeige durch die Klägerin eine Verhandlungsniederschrift mit ihrem Sohn D. M. vom 14.3.2007 (Bl. 197 bis 212 d.A.) sowie mit ihr selbst am 23.3.2007 (Bl. 195 f. d.A.) auf. Ausweislich eines Gutachtens des von der Beklagten beauftragten Sachverständigen M. vom 10.5.2007 steht fest, dass Ursache des Brandes eine Brandstiftung unter Verwendung von Brandbeschleunigern an verschiedenen Stellen im Inneren des Hauses war (Bl. 102 bis 107 d.A.). Der ebenfalls von der Beklagten beauftragte Sachverständige G. konnte bis auf eine von ihm nicht zu untersuchende Tür T 6 keine Spuren für ein gewaltsames Eindringen in das Haus feststellen (Bl. 110 bis 158 d.A.). Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 5.4.2007 den Rücktritt vom Vertrag und kündigte diesen (Bl. 58 f. d.A.). Ferner focht sie den Vertrag zusätzlich mit Schreiben vom 21.12.2007 wegen arglistiger Täuschung an (Bl. 55 bis 57 d.A.). Am 14.5.2007 fand im Haus der Klägerin ein Regulierungsgespräch statt, an dem für die Beklagte u.a. der von ihr beauftragte Sachverständige B. teilnahm (Bl. 3 d.A.). Dieser hatte ausweislich der Aufstellung Anlage K 4 (Bl. 25 d.A.) den Zeitwert des Gebäudes mit 76.600 EUR netto sowie den Neuwert mit 136.500 EUR berechnet sowie Aufräumungs- und Abbruchkosten mit 18.000 EUR netto.
Die Klägerin...