Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbraucherwiderruf eines Darlehensvertrags zur Finanzierung des Erwerbs eines Kfz
Leitsatz (amtlich)
1. Die unzureichende Information über gem. Art. 247 § 3 Abs. 1 EGBGB in den verbundenen Darlehensvertrag aufzunehmende Pflichtangaben führt dazu, dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt.
2. In Fällen, in denen der Darlehensnehmer das Fahrzeug nach Widerruf nicht an den Darlehensgeber zurückgibt, sondern es weiter nutzt, aber gleichzeitig seine Pflicht zur Leistung von Wertersatz dem Grunde nach anerkennt, kommt eine Verwirkung des Widerrufsrechts nicht in Betracht.
3. Im Rahmen der Rückabwicklung des Darlehensvertrags steht dem Darlehensgeber vor Rückgabe des finanzierten Fahrzeugs ein Leistungsverweigerungsrecht aus § 358 Abs. 4, § 357 Abs. 4 BGB sowohl hinsichtlich der vor als auch hinsichtlich der nach Widerruf durch den Darlehensnehmer erbrachten Zahlungen zu.
Normenkette
BGB §§ 242, 295, 355, 356b Abs. 2, § 357 Abs. 4, 7, § 358 Abs. 4, §§ 361, 492, 494; EGBGB Art. 247 § 3 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 7; EGRL 48/2008 Art. 10 Abs. 2, Art. 23
Verfahrensgang
LG Hildesheim (Urteil vom 15.06.2021; Aktenzeichen 6 O 349/20) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 15. Juni 2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit wegen des ursprünglichen Antrags auf Feststellung, dass der Kläger aus dem mit der Beklagten geschlossenen Darlehensvertrag vom 23. Dezember 2016 über 14.200,00 EUR weder die Zahlung der Zinsen in Höhe von 2,95 % p.a. noch die Erbringung von Tilgungsleistungen aufgrund des Widerrufs seit dem 17. September 2020 schuldet, erledigt ist.
Die mit der Berufung verfolgten Anträge des Klägers zu Ziff. 2. lit. a) und lit. b) werden als derzeit unbegründet abgewiesen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Auf die Hilfswiderklage wird aufgrund des Anerkenntnisses des Klägers festgestellt, dass der Kläger verpflichtet ist, an die Beklagte hinsichtlich des Kraftfahrzeugs M. B., Fahrgestellnummer W..., Wertersatz zu leisten, soweit der Wertverlust auf einen Umgang mit dem Fahrzeug zurückzuführen ist, der zur Prüfung der Beschaffenheit, der Eigenschaften und der Funktionsweise des Fahrzeugs nicht notwendig war.
Im Übrigen wird die Hilfswiderklage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits der ersten Instanz tragen der Kläger zu 51 % und die Beklagte zu 49 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 54 % und die Beklagte zu 46 %.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die jeweils unterlegene Partei kann die Zwangsvollstreckung der anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über den Widerruf einer auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung.
Der Kläger erwarb im Dezember 2016 ein Fahrzeug des Herstellers M. B., zum Preis von 28.200,00 EUR. Er leistete eine Anzahlung von 14.000,00 EUR. Zur Finanzierung des Restbetrags schloss er mit der Beklagten am 23. Dezember 2016 einen Darlehensvertrag (vgl. Anlage K 1, gesondert geheftet) über einen Nettodarlehensbetrag von 14.200,00 EUR zu einem gebundenen Sollzinssatz von 2,95 % p.a.
Der Darlehensvertrag enthält die folgende Widerrufsbelehrung:
((Abbildung))
Mit Schreiben vom 17. September 2020 (Anlage K 2, gesondert geheftet) erklärte der Kläger den Widerruf seiner auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung. Bis zu diesem Zeitpunkt zahlte er insgesamt 11.467,80 EUR an die Beklagte.
Unter dem 10. Januar 2022 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass das Darlehen - unstreitig - vollständig zurückgezahlt worden sei, händigte die Zulassungsbescheinigung Teil I an ihn aus, übertrug ihm das Eigentum an dem Fahrzeug und sämtliche weitere Sicherungsrechte (Anlage BB 3, Bl. 73 Bd. III d. A.).
Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die gesetzliche Widerrufsfrist habe zum Zeitpunkt seiner Widerrufserklärung noch nicht zu laufen begonnen, da die Widerrufsinformation fehlerhaft gewesen sei und er nicht alle erforderlichen Pflichtangaben erhalten habe.
Wegen des weitergehenden Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Widerrufsinformation der Beklagten sei nicht zu beanstanden. Sie entspreche dem Muster der Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB in der ab dem 21. März 2016 geltenden Fassung, weshalb die Gesetzlichkeitsfiktion eingreife. Der Kläger habe zudem die erforderlichen Pflichtangaben erhalten.