Entscheidungsstichwort (Thema)
Anlageberatungsgesellschaft: Vermutungen zum Beratungsablauf; Bestreiten der verspäteten Übergabe des Emissionsprospekts mit Nichtwissen
Leitsatz (amtlich)
1. Der Behauptung des Kapitalanlegers, er sei vor seiner Anlageentscheidung über bestimmte Risiken und Eigenschaften der Anlage nicht mündlich aufgeklärt worden, darf die auf Schadensersatz in Anspruch genommene Anlageberatungsgesellschaft nicht nur bloße Vermutungen entgegensetzen. Auch mit Nichtwissen darf sie diese Behauptung nicht bestreiten.
2. Gleiches gilt für die Behauptung des Kapitalanlegers, ihm sei der Emissionsprospekt für die streitgegenständliche Kapitalbeteiligung nicht früher als am Tag seines Beitritts übergeben worden.
3. Derartige Formen des Bestreitens solcher negativen Tatsachen sind auch dann nicht zulässig, wenn die Anlageberatungsgesellschaft alle für sie verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft und dennoch keine eigenen Kenntnisse über den von einem für sie tätigen Handelsvertreter durchgeführten Beratungsvorgang gewonnen hat.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1; HGB § 172 Abs. 4; ZPO § 138 Abs. 1, 4
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 08.06.2016; Aktenzeichen 11 O 233/15) |
Tenor
Unter Zurückweisung der weiter gehenden Berufung wird das am 8.6.2016 verkündete Urteil des Einzelrichters der 11. Zivilkammer des LG Hannover teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 14.775 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.11.2013 Zug um Zug gegen Abtretung der Gesellschaftsanteile an der M. "K. D. 1" T. GmbH & Co. KG - ehemals K. & C. M. "K. D. 2" T. GmbH & Co. KG - K. & C. R. 50 - M. K. D. 1 (ehemals K. D. 2) mit einem Nominalwert von 15.000 EUR zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 1.11.2013 im Annahmeverzug bezüglich der Abtretung der Gesellschaftsanteile an der M. "K. D. 1" T. GmbH & Co. KG
- ehemals K. & C. M. "K. D. 2" T. GmbH & Co. KG - K. & C. R. 50
- M. K. D. 1 (ehemals K. D. 2) befindet.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger von allen Schäden und Nachteilen - insbesondere von Rückforderungsansprüchen nach § 172 Abs. 4 HGB - freizustellen, die unmittelbar oder mittelbar auf der von dem Kläger am 17.1.2007 gezeichneten Beteiligung an der M. "K. D. 1" T. GmbH & Co. KG - ehemals K. & C. M. "K. D. 2" T. GmbH & Co. KG - K. & C. R. 50 - M. K. D. 1 (ehemals K. D. 2) beruhen und die ohne Zeichnung dieser Beteiligung nicht eingetreten wären.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger 1/6 und die Beklagte 5/6. Die Kosten der Berufungsinstanz trägt die Beklagte.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 15.075 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz aufgrund angeblich fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit dem Erwerb der Beteiligung an einem geschlossenen Tankschiffsfonds. Auf die Darstellung des Tatbestands im Einzelnen wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO verzichtet.
II. Die Berufung ist im Wesentlichen unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 280 Abs. 1, § 278 BGB Anspruch auf Schadensersatz, weil die von der Beklagten durch ihre Handelsvertreter A. und R. erbrachte Anlageberatung, in deren Folge sich der Kläger an der K. & C. M. K. D. 2 T. GmbH & Co. KG (nunmehr: M. "K. D. 1" T. GmbH & Co. KG - K. & C. R. 50 - M. K. D. 1) beteiligte, unzureichend war. Die Berufung ist lediglich begründet, soweit das LG die Beklagte auch zum Ersatz des vom Kläger behaupteten Zinsausfallschadens verurteilt hat.
1. a) Im Rahmen der objektgerechten Beratung ist ein Anlageberater verpflichtet, den Anleger darüber aufzuklären, wenn die Eigenkapitalbeschaffungskosten der empfohlenen Beteiligung eine Größenordnung von 15 % des von den Anlegern einzubringenden Kapitals überschreiten (vgl. BGH, Urteil vom 3.3.2011 - III ZR 170/10, juris, Rn. 16, 22). Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, dass Vertriebsprovisionen solchen Umfangs Rückschlüsse auf eine geringere Werthaltigkeit und Rentabilität der Kapitalanlage eröffnen und dies wiederum einen für die Anlageentscheidung derart bedeutsamen Umstand darstellt, dass der Anlageinteressent hierüber informiert werden muss (vgl. BGH, Urteil vom 3.3.2011, a.a.O., Rn. 16 m.w.N.).
Die Eigenkapitalbeschaffungskosten der Fondsgesellschaft sollten hier mehr als 15 % des Kommanditkapitals ausmachen. Das ergibt sich aus der auf Seite 8 der Klageschrift vorgetragenen Mittelverwendungsprognose, die - unstreitig - aus dem Emissionsprospekt stammt. Danach sollten die Kosten des "Vertriebs" 3.226.000 EUR und das einzuwerbende Kommanditkapital 19.960.000 EUR betragen. Der Anteil der für die Einwerbung des Kommanditkapitals aufgewendeten Kosten sollte mithin bei 16,2 % liegen. Wird - ents...