Leitsatz (amtlich)

1. Für den Beginn der Verjährungsfrist in einer Arzthaftungssache kommt es nur auf die Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen, nicht auf deren zutreffende rechtliche Würdigung und nur auf die Person des Patienten an.

2. Allerdings muss sich dieser auch das Wissen sowie die leichtfertigte oder grob fahrlässige Unkenntnis eines Bevollmächtigten zurechnen lassen.

3. Eine solche Kenntnis wird regelmäßig durch ein Privatgutachten vermittelt, in dem ein Behandlungsfehler bejaht wird.

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Aktenzeichen 6 O 2414/21)

 

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 14.04.2022 gegen den Beschluss des Landgerichts Dresden vom 14.03.2022, Az. 6 O 2414/21, wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Schmerzensgeld und Schadenersatz wegen behaupteter fehlerhaften Behandlung in der geschlossenen psychiatrischen Abteilung eines Klinikums. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Das Landgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass die geltend gemachten Ansprüche verjährt seien.

II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist nach §§ 127 Abs. 2 S. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO eingelegt worden. In der Sache bleibt die sofortige Beschwerde ohne Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Prozesskostenhilfe kann nach § 114 Abs. 1 ZPO nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB beginnt die hier maßgebliche Verjährungsfrist von drei Jahren mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und die Antragstellerin von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.

Hinsichtlich ärztlicher Behandlungsfehler kann die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners nicht schon dann bejaht werden, wenn dem Patienten oder seinem gesetzlichen Vertreter lediglich der negative Ausgang der ärztlichen Behandlung bekannt ist. Er muss vielmehr auch auf einen ärztlichen Behandlungsfehler als Ursache dieses Misserfolges schließen können. Dazu muss er nicht nur die wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs kennen, sondern auch Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen, aus denen sich für ihn als medizinischen Laien ergibt, dass der behandelnde Arzt von dem üblichen medizinischen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach dem ärztlichen Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren (vgl. BGH, Urteile vom 8. November 2016 - VI ZR 594/15, VersR 2017, 165 Rn. 13; vom 10. November 2009 - VI ZR 247/08, VersR 2010, 214 Rn. 6; vom 23. April 1991 - VI ZR 161/90, VersR 1991, 815, juris Rn. 10; jeweils mwN). Diese Kenntnis ist erst vorhanden, wenn die dem Anspruchsteller bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners und auch die Ursache dieses Verhaltens für den Schaden als naheliegend erscheinen zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2016 - VI ZR 594/15, VersR 2017, 165 Rn. 13 und Urteil vom 26. Mai 2020 - VI ZR 186/17 -, Rn. 13 - 162, beide m.w.N. - juris). Für den Beginn der Verjährungsfrist kommt es nur auf die Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen an, nicht auf deren zutreffende rechtliche Würdigung; auf Seiten des geschädigten Patienten kommt es nur auf die Kenntnis des tatsächlichen Verlaufs, nicht auf dessen exakte medizinische oder rechtliche Einordnung an (vgl. BGH, Urt. vom 20. September 1983 - VI ZR 35/82 - VersR 1983, 1158, 1159f.).

Ferner ist hinsichtlich der Kenntnis der für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebenden Umstände grundsätzlich auf die Person des Anspruchsgläubigers selbst abzustellen (vgl. dazu und zum Folgenden BGH, Urteil vom 25. Oktober 2018 - IX ZR 168/17, ZIP 2019, 35 Rn. 13 mwN). Allerdings muss sich der Anspruchsgläubiger entsprechend § 166 Abs. 1 BGB und mit Rücksicht auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch die Kenntnis eines Wissensvertreters zurechnen lassen. Wissensvertreter ist jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls weiterzuleiten. Dazu gehört etwa die Verfolgung eines Anspruchs des Geschäftsherrn (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 - IX ZR 13...

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