Leitsatz (amtlich)
1. § 20 Abs. 1 AktG findet auf Gründungsaktionäre Anwendung.
2. Ein wegen allseitiger Verletzung der Anzeigepflicht aus § 20 Abs. 1 AktG "stimmlos" gefasster - aber vom Versammlungsleiter festgestellter - Hauptversammlungsbeschluss ist nicht nichtig, sondern anfechtbar.
3. Eine Anfechtungsbefugnis kommt bei stimmlos gefassten Hauptversammlungsbeschlüssen auch einem Aktionär zu, dessen Mitgliedschaftsrechte ansonsten gem. § 20 Abs. 7 AktG ruhen.
Normenkette
AktG §§ 20, 243
Verfahrensgang
LG Leipzig (Urteil vom 08.09.2004; Aktenzeichen 6 HKO 5863/03) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des LG Leipzig vom 8.9.2004 - 6 HKO 5863/03 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
1. Folgende Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 20.8.2003 werden für nichtig erklärt:
a) Der Beschluss, durch welchen dem ehemaligen Mitglied des Vorstandes, Herrn L., für das Jahr 2002 die Entlastung verweigert wurde (Pkt. 4. der Tagesordnung);
b) Der Beschluss, durch welchen dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates, Herrn R. F., für das Jahr 2002 die Entlastung erteilt wurde (Pkt. 5. der Tagesordnung).
2. Folgender Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 30.9.2003 wird für nichtig erklärt: Das Grundkapital der M. AG wird gegen Bargeldeinlagen erhöht von 500.000 EUR um 5.000.000 EUR auf 5.500.000 EUR durch Ausgabe von 100.000 neuen auf den Namen lautenden nennwertlosen Stückaktien. Die neuen Aktien werden zum Betrag von 50 EUR je Aktie ausgegeben. Die neuen Aktien werden den Aktionären im Verhältnis 1:10 zum Preis von 50 EUR zum Bezug angeboten. Die Frist für die Annahme des Bezugsangebotes endet zwei Wochen nach der Bekanntgabe des Bezugsangebotes. Die Frist von zwei Wochen gilt sowohl für die Annahmen des Bezugsangebotes als auch für die Abgabe der Zeichnungserklärung.
Die neuen Aktien sind ab dem 1.1.2003 gewinnberechtigt.
Der Vorstand wird ermächtigt, nach Ablauf der für alle Aktionäre geltenden Bezugsfrist die bis dahin nicht gezeichneten neuen Aktien zum beschlossenen Ausgabebetrag an die Aktionäre zuzuteilen. Hierzu bedarf es keiner gesonderten Zustimmung des Aufsichtsrates.
Die Satzung wird in § 5 wie folgt geändert:
§ 5 Grundkapital
1. Das Grundkapital der Gesellschaft beträgt 5.500.000 EUR (in Worten: fünfmillionenfünfhunderttausend).
2. Das Grundkapital ist eingeteilt in 110.000 Stückaktien.
3. Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 1/5 und die Beklagte 4/5.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Sicherheit kann jeweils durch unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines in der Europäischen Union zugelassenen Kreditinstituts oder Kreditversicherers erbracht werden.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 600.000 EUR.
Gründe
A. Die Klägerin wendet sich mit einer aktienrechtlichen Nichtigkeits- und Anfechtungsklage gegen drei auf den Hauptversammlungen der Beklagten vom 20.8.2003 und 30.9.2003 gefasste Beschlüsse.
Die Beklagte wurde durch notarielle Urkunde vom 25.5.2000 errichtet und am 4.7.2000 unter HRB 16982 in das Handelsregister beim AG Leipzig eingetragen. Das Grundkapital der Beklagten von 500.000 EUR ist in 10.000 Stückaktien zum Nennwert von 50 EUR eingeteilt. Bei Gründung der Beklagten wurden vom gezeichneten Kapital durch die Landesbank S. Girozentrale (künftig: S. LB) 5.100 Stückaktien und von der Klägerin 4.900 Stückaktien übernommen.
Gegenstand der Beklagten ist u.a. die Durchführung von Leasing- und Vermietungsgeschäften sowie die Strukturierung und die Vermittlung von Finanzierungen. Der Vorstand der Beklagten wurde zunächst von dem geschäftsführenden Gesellschafter L. H. der Klägerin und einer der S. LB nahestehenden Person gebildet. Seit 1.4.2003 ist A. B., die mit dem Vorstandsvorsitzenden der S. LB persönlich verbunden ist, einziger Vorstand. Der Aufsichtsrat der Beklagten besteht derzeit aus dem - bei der S. LB als Vorstand tätigen - Vorsitzenden R. F. sowie zwei weiteren Mitgliedern.
Mit Schreiben vom 17.7.2003 (Anlage K 4, Bl. 25 d.A.) lud der Vorstand A. B. der Beklagten zu deren Hauptversammlung auf den 20.8.2003. Die der Einberufung beigefügte Tagesordnung enthielt u.a. Beschlussvorschläge dahin, dass dem ehemaligen Vorstand L. H. für das Jahr 2002 die Entlastung zu verweigern sei und den Aufsichtsratsmitgliedern Entlastung erteilt werde.
Auf der Hauptversammlung vom 20.8.2003 waren dem Protokoll (Anlage K 5, Bl. 28 ff. d.A.) sowie dem ihm beigefügten Teilnehmerverzeichnis zufolge die S. LB durch den Zeugen .... und die Klägerin durch ihren je...