Zur Verletzung des Teilnahmerechts von Aktionären
Hintergrund
Aktionäre müssen ihr Teilnahmerecht nicht persönlich wahrnehmen, sondern können sich auf der Hauptversammlung auch vertreten lassen. Das OLG Schleswig hatte sich in seiner Entscheidung mit der Frage zu befassen, unter welchen Voraussetzungen dem Vertreter eines Aktionärs die Teilnahme an der Hauptversammlung verweigert werden kann. Insbesondere hatte es darüber zu entscheiden, ob die Teilnahme des Vertreters von der Vorlage einer Vollmacht abhängig gemacht werden darf.
Sachverhalt
In dem vom OLG Schleswig entschiedenen Fall stritten die Beklagte, eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, und die Klägerin, die Aktionärin der Beklagten im Umfang von 10 % des Grundkapitals ist, um die Wirksamkeit verschiedener Hauptversammlungsbeschlüsse, die in Abwesenheit eines Vertreters der Klägerin gefasst wurden.
Die Beklagte hatte zu dieser Hauptversammlung unter Beifügung der Tagesordnung eingeladen. Am Tag der Hauptversammlung erschien Rechtsanwalt B, der als Vertreter der Klägerin an der Hauptversammlung teilnehmen wollte, kurz vor Beginn der Versammlung an der Eingangstür zu den Geschäftsräumen der Beklagten, in denen die Hauptversammlung stattfinden sollte.
Besondere Voraussetzungen für die Teilnahme an der Hauptversammlung sah die Satzung der Beklagten nicht vor, insbesondere wurde darin kein schriftlicher Nachweis der Bevollmächtigung gefordert. Vielmehr stellte die Satzung lediglich Anforderungen an die Personen, die Vertreter von Aktionären sein können. Hiernach kamen insbesondere Rechtsanwälte in Betracht. Ob Rechtsanwalt B eine schriftliche Vollmacht bei sich hatte, war zwischen den Parteien streitig.
Das Vorstandsmitglied P der Beklagten verweigerte B den Zutritt zu den Geschäftsräumen. An der Hauptversammlung nahm sodann entsprechend weder die Klägerin selbst noch ein Vertreter für sie teil.
Rechtsanwalt B hatte die Klägerin indes schon in der vorangegangenen Hauptversammlung vertreten. Die beklagte Aktiengesellschaft behauptete in diesem Zusammenhang, Rechtsanwalt B habe sich bei dieser Hauptversammlung „ungebührlich verhalten“, insbesondere habe er mehrfach zu schreien begonnen und sich auch nicht durch den Versammlungsleiter beruhigen lassen.
Das Landgericht gab der Anfechtungsklage statt und erklärte die angefochtenen Beschlüsse für nichtig. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein.
Entscheidung des OLG Schleswig
Das OLG Schleswig hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Zur Begründung führte es aus, dass das Teilnahmerecht der Klägerin verletzt worden sei, indem ihr Vertreter zu der Hauptversammlung zu Unrecht nicht zugelassen worden sei.
Die Satzung der Beklagten mache die Teilnahme an der Hauptversammlung weder von einer Anmeldung abhängig noch bestimme sie, wie die Berechtigung zur Teilnahme an der Versammlung oder zur Ausübung des Stimmrechts nachzuweisen sei. In der Satzung heiße es lediglich, dass zur Teilnahme und Abstimmung alle am Tag der Hauptversammlung im Aktienbuch eingetragenen Aktionäre der Gesellschaft oder deren bevollmächtigte Vertreter berechtigt seien. Rechtsanwalt B sei deshalb nicht verpflichtet gewesen, durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht seine Berechtigung zur Teilnahme an der Versammlung nachzuweisen. Zweifel an seiner Identität als anwaltlicher Bevollmächtigter der Klägerin hätten nicht bestanden, zumal das Vorstandsmitglied P Rechtsanwalt B aus der vorangegangenen Hauptversammlung als Vertreter der Klägerin gekannt habe. Es sei daher unerheblich, ob B eine schriftliche Vollmacht dabeihatte oder nicht. Das Teilnahmerecht sei der Regelfall des § 118 Abs. 1 AktG und bestehe ohne Rücksicht auf das Stimmrecht. Lediglich für die Stimmrechtsausübung hätte B gemäß § 134 Abs. 3 S. 1 u. 3 AktG eine Vollmacht in Textform benötigt.
Das OLG führte weiter aus, dass auch sonst kein Grund vorgelegen habe, der die Zutrittsverweigerung hätte rechtfertigen können. Sofern die Beklagte hierfür das von ihr behauptete „ungebührliche Verhalten“ des Rechtsanwalts B in der vorangegangenen Hauptversammlung anführe, stelle das geschilderte rein verbale Verhalten („schreien“), sofern es zutreffen sollte, keinen ausreichenden Grund dar, um das grundlegende Mitgliedschaftsrecht eines Aktionärs auf Teilnahme und Abstimmung in der Hauptversammlung zu beschränken. Zum einen habe von dem vorangegangenen Verhalten nicht zwingend auf eine Wiederholung in der anstehenden Hauptversammlung geschlossen werden können. Zum anderen sei eine Hauptversammlung keine „Wohlfühlveranstaltung“, es könne auch mal „laut werden“, sofern die Grenzen des Strafrechts nicht überschritten würden.
Die Verletzung des Teilnahmerechts der Klägerin als Aktionärin begründe einen selbstständigen und stets relevanten Anfechtungsgrund im Sinne des § 243 Abs. 1 AktG. Das Landgericht habe daher zu Recht der Anfechtungsklage stattgegeben und die angegriffenen Hauptversammlungsbeschlüsse für nichtig erklärt.
Anmerkungen und Praxistipp
Die Entscheidung des OLG Schleswig verdeutlicht, dass das Recht von Aktionären, an der Hauptversammlung teilzunehmen oder sich auf dieser vertreten zu lassen, nur unter strengen Voraussetzungen eingeschränkt werden kann. Die Teilnahme kann nur dann von einer vorherigen Anmeldung oder einem besonderen Nachweis der Berechtigung zur Teilnahme abhängig gemacht werden, wenn die Satzung entsprechende Regelungen enthält. Das gilt auch hinsichtlich der Teilnahme von Vertretern von Aktionären.
Störungen von Aktionären oder Aktionärsvertretern können einen Ausschluss von der Teilnahme nur dann rechtfertigen, soweit dieser zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Ablaufs der Hauptversammlung erforderlich ist. Dass ein Aktionär oder sein Vertreter in der Hauptversammlung in der Vergangenheit laut wurde, genügt für eine Zutrittsverweigerung – wie das OLG zutreffend festgestellt hat – regelmäßig noch nicht. Denn der Versammlungsleiter hat im Falle einer tatsächlichen Störung der Hauptversammlung zunächst mildere Mittel zu ergreifen. Hierzu gehört insbesondere der Entzug des Rederechts nach vorheriger Androhung. Erst wenn der Wortentzug fruchtlos bleibt, kann der Versammlungsleiter sich des äußersten Mittels bedienen und den Störer von der weiteren Teilnahme ausschließen. Auch die Ausschließung ist zunächst anzudrohen.
Die unberechtigte Nichtzulassung eines Aktionärs führt zur Anfechtbarkeit sämtlicher Beschlüsse, die auf der Hauptversammlung gefasst werden. Um die Wirksamkeit der gefassten Beschlüsse nicht zu gefährden, sollte von dem Mittel des Ausschlusses von Aktionären während der Versammlung nur äußerst zurückhaltend Gebrauch gemacht werden. Versammlungsleiter müssen gegen Störer abgestuft vorgehen und diesen insbesondere zunächst das Rederecht entziehen. Ein Ausschluss kommt erst dann in Betracht, wenn keine der vorherigen Maßnahmen ausgereicht hat, um den ordnungsgemäßen Fortgang der Hauptversammlung zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund dürfte es (mit Ausnahme von aufgrund in der Satzung festgelegten Formalkriterien, etwa zum Nachweis der Bevollmächtigung bei Vertretung eines Aktionärs) schließlich nur in besonders gelagerten Extremfällen zulässig sein, Aktionären oder deren Vertretern den Zutritt zur Versammlung bereits von vornherein zu verweigern.
OLG Schleswig, Urteil v. 7.2.2024, 9 U 41/23
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