Leitsatz (amtlich)

1. Wenn der öffentliche Auftraggeber einen Dienstleistungsauftrag zunächst für eine Vertragslaufzeit von fünf Jahren, die sich aus dem in den Vergabeakten dokumentierten Grund der Rücksichtnahme auf die zur Vertragsdurchführung erforderlichen Investitionen des Auftragnehmers ergibt, (nur) national ausschreibt, sodann diese Ausschreibung auf Grund der Erkenntnis, dass der fünfjährige Vertrag den Schwellenwert (§§ 100 Abs. 1 GWB, 2 Nr. 3 VgV) überschreitet, aufhebt und ferner verlautbart, er werde nunmehr freihändig den Auftrag für zwei Jahre, dessen Auftragswert dann unterhalb des Schwellenwerts liegt, an den mindestbietenden Teilnehmer der aufgehobenen Ausschreibung vergeben, so kann ein anderer Teilnehmer der aufgehobenen Ausschreibung gegen diese beabsichtigte Vergabeentscheidung erfolgreich einen Nachprüfungsantrag stellen. Sofern der öffentliche Auftraggeber die nachträgliche Verkürzung der für den zu vergebenden Vertrag vorgesehenen Laufzeit sachlich nicht zu rechtfertigen vermag, ist die Feststellung geboten, dass der Grund für die Herabsetzung der Laufzeit in der Absicht des Auftraggebers liegt, rechnerisch den Schwellenwert zu unterschreiten und die Auftragsvergabe damit dem Vergaberechtsregime zu entziehen. Das verstößt gegen § 3 Abs. 2 VgV mit der Folge, dass der nunmehr zur Vergabe vorgesehene zweijährige Vertrag für das Nachprüfungsverfahren so zu behandeln ist, als ob er den Schwellenwert überschritte.

2. Der öffentliche Auftraggeber muss die für den Schwellenwert maßgebliche Schätzung des Auftragswerts schon bei der Einleitung des konkreten Vergabeverfahrens vornehmen und sie von wettbewerbswidrigen Einflüssen, z.B. von der Orientierung an einem bereits freihändig eingeholten Angebot eines interessierten Unternehmens, freihalten. Die Schätzung ist nach rein objektiven Kriterien durchzuführen und soll jenen Wert treffen, den ein umsichtiger und sachkundiger öffentlicher Auftraggeber nach sorgfältiger Prüfung des relevanten Marktsegments und auf dem Boden einer betriebswirtschaftlichen Finanzplanung veranschlagen würde. Dieser Verpflichtung genügt der Auftraggeber nicht, wenn er sich vom mindestbietenden Teilnehmer eines inzwischen aufgehobenen Vergabeverfahrens erklären lässt, dass dieser seinen dort für einen fünfjährigen Dienstleistungsauftrag angebotenen Jahrespreis unverändert auch für die jetzt vorgesehene nur zweijährige Vertragslaufzeit aufrechterhalten werde, und diese Erklärung der Schätzung des Auftragswerts für das neue Vergabeverfahren zugrunde legt.

 

Normenkette

GWB § 100 Abs. 1; VgV § 2 Nr. 3, § 3 Abs. 2 u. 10

 

Verfahrensgang

Vergabekammer Düsseldorf (Aktenzeichen VK 23/01)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Münster vom 17.1.2002 (VK 23/01) aufgehoben.

Der Antragsgegnerin wird untersagt, entgeltliche Verträge betreffend die Leistungen der Lose 1 (Abschleppen und/oder Versetzen von Kraftfahrzeugen nach Maßgabe der Anordnung der städtischen Verkehrsüberwachungskräfte), 3 (Abschleppen und/oder Versetzen von Kraftfahrzeugen von den Marktplaätzen und bei Sonderveranstaltungen nach Maßgabe der Anordnung der Dienstkräfte des Ordnungsamtes) und 4 (Abschleppen und Sicherstellen von nicht zugelassenen Fahrzeugen im Stadtgebiet) abzuschließen, ohne zuvor ein Verfahren zur Erteilung von Aufträgen im Wettbewerb und im Wege transparenter Vergabe (§§ 97 ff. GWB) durchzuführen. Ausgenommen hiervon ist die Erteilung von kurzzeitigen Einzelaufträgen, die bis zum Abschluss eines solchen Vergabeverfahrens als Überbrückungsmaßnahmen notwendig werden.

II. Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte. Dem Antragsteller fallen darüber hinaus 50 % der notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin im Vergabekammerverfahren zur Last; umgekehrt hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller 50 % seiner notwendigen Auslagen im Verfahren vor der Vergabekammer zu erstatten.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dort angefallenen notwendigen Auslagen des Antragstellers hat die Antragsgegnerin zu tragen.

III. Die Beigeladenen tragen ihre notwendigen Auslagen selbst.

IV. Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten war sowohl für den Antragsteller als auch für die Antragsgegnerin in beiden Instanzen notwendig.

V. Der Beschwerdewert wird auf bis 7.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.

I. Der Antragsteller wendet sich mit Recht gegen die Absicht der Antragsgegnerin, die Aufträge über die Abschleppleistungen der Lose 1, 3 und 4 für die Dauer von zwei Jahren im Wege der Freihändigen Vergabe an die Beigeladenen zu erteilen.

Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 25.3.2002, durch den er gem. § 118 Abs. 1 S. 3 GWB die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde des Antragstellers verlängert hat, zur Rechtslage Stellung genommen. Er hat im Einzelnen die Erfolgsaussichten der Beschwerde des Antragstellers begründet und...

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