Leitsatz (amtlich)
1. Das gesetzliche Vollzugsverbot des § 41 Abs. 1 GWB gilt auch für kartellbehörd-lich untersagte Zusammenschlussvorhaben, solange und soweit die Untersa-gungsentscheidung im Beschwerdeverfahren Bestand hat.
2. § 41 Abs. 2 GWB enthält für die Freistellung vom gesetzlichen Vollzugsverbot eine abschließende Spezialregelung, weshalb weder die Kartellbehörde nach § 60 GWB noch das Beschwerdegericht gem. §§ 64 Abs. 3 Satz 1, 60 GWB den Zusammenschlussbeteiligten eine Befreiung vom Vollzugsverbot durch einstweilige Anordnung erteilen können.
3. Ein Dispens vom Vollzugsverbot kann ebenso wenig über einen Antrag nach § 65 Abs. 3 Satz 3 GWB erreicht werden.
4. Dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ist dadurch Genüge getan, dass die Zusammenschlussbeteiligten die Ablehnung ihres Antrags nach § 41 Abs. 2 GWB auf Freistellung vom Vollzugsverbot gem. § 63 Abs. 1 Satz 1 GWB mit der Beschwerde anfechten können und das Beschwerdegericht in je-nem Verfahren analog § 64 Abs. 3 Satz 1 GWB auch die zur Gewährleistung ei-nes wirksamen Rechtsschutzes notwendigen einstweiligen Anordnungen treffen kann.
5. An eine Befreiung vom Vollzugsverbot durch einstweilige Anordnung des Be-schwerdegerichts sind materiell-rechtlich in jedem Falle die gleichen Anforderun-gen zu stellen, wie sie im Beschwerdeverfahren gegen eine ablehnende Behör-denentscheidung nach § 41 Abs. 2 GWB gelten würden.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; GWB § 41 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 63 Abs. 1 S. 1, § 64 Abs. 3 S. 1, §§ 60, 65 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
BKartA (Beschluss vom 11.04.2007; Aktenzeichen B 3-33101-Fa-578/05) |
Tenor
I. Die Anträge der Beteiligten zu 1. und zu 5. auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, den vom BKartA mit Beschluss vom 11.4.2007 (B 3-33101-Fa-578/06) un-tersagten Zusammenschluss vollziehen zu dürfen, werden verworfen.
II. Die Beteiligten zu 1. und zu 5. haben dem BKartA die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
III. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
IV. Der Beschwerdewert wird auf 30 Mio. EUR festgesetzt (§ 39 Abs. 2 GKG); davon entfällt auf jedes der insgesamt 2 Rechtsmittel ein Teilbetrag von 15 Mio. EUR.
Gründe
Die Beteiligte zu 1. (folgend: P.) - ein schweizerisches Unternehmen - beabsichtigt, von der Beteiligten zu 5. (folgend: G. S.) - einem dänischen Unternehmen - sämtliche Geschäftsanteile an den Beteiligten zu 2. bis zu 4. zu erwerben und hierdurch die Unternehmen der G. R.-Gruppe (folgend: G. R.) zu übernehmen. Sowohl P. als auch R. produzieren und vertreiben Hörgeräte. Forschung und Entwicklung sowie der Vertrieb der Geräte erfolgen in beiden Unternehmen - wie dies im Übrigen auch branchenüblich ist - weltweit. Dementsprechend liefern sowohl P. als auch G. R. ihre Hörgeräte u.a. nach D.. G. R. erzielt dort ... % seines weltweiten Hörgeräteumsatzes. Die zur Herstellung der Hörgeräte erforderlichen Betriebsstätten unterhält P. in der S., K., C. und V.. G. R. verfügt über Produktionsstätten in den U., D. und C.. Außerdem unterhält das Unternehmen seit 2005 im Konzern eine Produktionsstätte in D..
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das BKartA das Zusammenschlussvorhaben gem. § 36 Abs. 1 GWB untersagt, weil die Fusion die Entstehung eines marktbeherrschenden Oligopols, bestehend aus der marktführenden Beigeladenen (folgend: S.), den Zusammenschlussbeteiligten und dem Wettbewerber O., erwarten lasse. Das Vorhaben könne auch nicht unter der von den Beteiligten (u.a.) angebotenen (Veräußerungs-)Auflage freigegeben werden. Das unternehmerische Potential von G. R. liege - so hat das Amt ausgeführt - vor allem im Patentportfolio und dem technischen Know-how des Unternehmens sowie in den weltweiten Produktionskapazitäten. Vor diesem Hintergrund lasse sich durch die Veräußerungsauflage zwar ein Marktanteilszuwachs von P. in D. verhindern. Gleichwohl profitiere P. aber trotz der Veräußerung des deutschen Konzernteils fusionsbedingt von dem beschriebenen wettbewerblichen Potential des Zielunternehmens. Dieser Zuwachs reiche aus, um die Entstehung eines marktbeherrschenden Oligopols zu begründen. Die mit der Veräußerungszusage verbundene Stärkung eines kleinen Konkurrenten gleiche die Stärkung von P. nicht aus.
Hiergegen wenden sich die Beteiligten zu 1. und zu 5. mit ihrer Beschwerde. Die Beklagte zu 1. meint, dass die angefochtene Untersagungsverfügung schon deshalb rechtswidrig sei, weil das Zusammenschlussvorhaben durch Ablauf der Monatsfrist des § 40 Abs. 1 Satz 1 GWB bereits im Oktober 2006 kraft Gesetzes freigegeben gewesen sei. Außerdem wenden sie sich in zahlreichen Punkten und mit umfangreichen Ausführungen gegen die wettbewerbliche Beurteilung des Amtes und dessen Ansicht, dass die Fusion in vollem Umfang untersagt werden müsse, weil die nationalen und die internationalen Aktivitäten von G. R. nicht zu trennen seien. Die Beteiligten machen hierzu unter Vorlage eines Rechtsgutachtens auch geltend, dass das vom Amt ausgesprochene Komplettverbot sowohl gegen das v...