Tenor
Der vorläufige Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 5. Juli 2010 wird aufgehoben.
Gründe
I.
Der Verfolgte ist am 2. Juni 2010 im Flughafen von D. festgenommen und nach richterlicher Vernehmung und dem Erlass einer Festhalteanordnung am folgenden Tage in die Justizvollzugsanstalt D. eingeliefert worden. Der internationalen Ausschreibung liegt der Haftbefehl des 3. Bundesgerichts in A. (Brasilien) zu Grunde. Darin wird dem Verfolgten zur Last gelegt, am 5. Mai 1997 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis unter Vorlage gefälschter Dokumente beantragt zu haben, gestützt auf die wahrheitswidrige Angabe, ein brasilianisches Kind zu haben. Mit Beschluss vom 5. Juli 2010, auf den Bezug genommen wird, hat der Senat gemäß §§ 15, 16 Abs. 1 Nr. 1 IRG die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat unter rechtzeitiger Übersendung von Kopien (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 14.06.2010 [III-3 Ausl 66/10]) der vom ersuchenden Staat auf diplomatischem Weg übermittelten Auslieferungsunterlagen beantragt, gemäß § 16 Abs. 3 IRG die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen.
II.
Der vorläufige Auslieferungshaftbefehl ist gemäß § 24 Abs. 1IRG aufzuheben, da die Voraussetzungen der §§ 15, 16 Abs. 1 Nr. 1 IRG nicht (mehr) vorliegen. Denn die Fortdauer und weitere Vollstreckung der Auslieferungshaft würde gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist grundsätzlich auch bei der Anordnung und Vollstreckung der Auslieferungshaft zu beachten.
Die Anordnung der Auslieferungshaft, die ebenso wie die Untersuchungshaft einen schwerwiegenden Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geschützte Recht auf persönliche Freiheit darstellt, muss von den überwiegenden Belangen des Gemeinwohls zwingend geboten sein (vgl. Senat NJW 1991, 3105 mwN; BVerfGE 61, 28 f; BGH NJW 1978, 504; OLG Hamm StV 1997, 652; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG, 4. Aufl., § 24 Rdnr. 7 ff. mwN). Ein Auslieferungshaftbefehl bleibt auch dann, wenn er in Vollstreckung eines ausländischen Haftbefehls nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ergeht, ein Hoheitsakt der deutschen öffentlichen Gewalt. Als solcher ist er in vollem Umfang den grundrechtlichen Gewährleistungen des deutschen Verfassungsrechts unterworfen (Art. 1 Abs. 3 GG). Damit gilt im Ausgangspunkt auch der im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnde Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des deutschen Verfassungsrechts in vollem Umfang, ungeachtet dessen, dass das IRG diese Folge - anders als die StPO für das innerstaatliche Untersuchungshaftrecht (vgl. §§ 112 Abs. 1 Satz 2, 113 StPO) - einfach-rechtlich nicht ausspricht (vgl. OLG Stuttgart StV 2010, 262).
Auslieferungshaft kann insbesondere dann unverhältnismäßig sein, wenn der Tatvorwurf geringe Bedeutung hat und die Straferwartung nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Belastung des Verfolgten durch Inhaftnahme und Auslieferung sowie zum Verfahrensaufwand steht (vgl. OLG Stuttgart, aaO; OLG Hamm, aaO; noch offen gelassen vom Senat in NJW 1991, 3105).
So liegt der Fall hier. Der Verfolgte befindet sich seit über drei Monaten in Auslieferungshaft, allein gestützt auf den Vorwurf des Verschaffens von falschen amtlichen Ausweisen (§ 276 Abs. 1 StGB, § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) aus dem Jahre 1997. Im Hinblick auf den geringen Unrechtsgehalt des Tatvorwurfs - der Verfolgte soll zur Erlangung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis behauptet haben, Vater eines brasilianischen Kindes zu sein - ist die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft auch angesichts der im Auslieferungsverkehr gebotenen Rücksichtnahme auf die Wirksamkeit der Strafrechtspflege des ersuchenden Staates (vgl. OLG Hamm, aaO) nicht mehr verhältnismäßig.
Die Unverhältnismäßigkeit ist nach Auffassung des Senats auch so gravierend, dass lediglich eine Außervollzugsetzung des Auslieferungshaftbefehls gemäß § 25 IRG nicht in Betracht kommt (vgl. Senat, aaO). Vielmehr war der Auslieferungshaftbefehl gemäß § 24 Abs. 1 IRG aufzuheben.
Fundstellen