Leitsatz (amtlich)
Die Zustellung einer in den USA erhobenen Sammelklage, mit der von der in Deutschland ansässigen beklagten Aktiengesellschaft wegen angeblicher Urheberrechtsverletzung Schadensersatz i.H.v. 17 Mrd. US-Dollar verlangt wird, kann nicht unter Hinweis auf Art. 13 des Haager Zustellungsübereinkommens abgelehnt werden.
Normenkette
HZÜ Art. 13; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 14
Verfahrensgang
AG Gütersloh (Aktenzeichen 14 AR 27/03) |
Nachgehend
Tenor
Der Antrag wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
Der Geschäftswert beträgt 500.000 Euro.
Gründe
I. Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem am 16.4. bei dem erkennenden Gericht eingegangenen Antrag nach § 23 EGGVG gegen die von der Antragsgegnerin nach dem Haager Übereinkommen vom 15.11.1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vermittelte Zustellung einer Schadenersatzklage wegen Urheberrechtsverletzung.
Sie beantragt,
1. die positive Entscheidung der Antragsgegnerin vom 20.3.2003 über das Rechtshilfegesuch gem. Art. 5 Abs. 1 der Haager Konvention über die Zustellung von gerichtlichen und außergerichtlichen Schriftstücken vom 15.11.1965 sowie ihre Zustellungsanordnung an das AG G., jew. in der Rechtssache US SD New York 03CV1093 (AG G. – 14 AR 27/03) aufzuheben,
hilfsweise, für rechtswidrig und unwirksam zu erklären
sowie,
2. festzustellen, dass die versuchte Zustellung am 4.4.2003 der beim United States District Court for the Southern District of New York eingereichten Klage der J.L. u.a. gegen sie unwirksam ist.
In ihrer Klage behaupten die Musikverlage L., S. u.a. eine Urheberrechtsverletzung der Antragstellerin wegen Beteiligung an der inzwischen geschlossenen Internet-Musiktauschbörse „N.”, welche sich in der Insolvenz befindet. Die Kläger vertreten tausende Musikverlage mittels einer Sammelklage („class action”) und machen Schadenersatzansprüche i.H.v. 17 Mrd. US-Dollar geltend.
Die Antragstellerin, die nach ihren Darlegungen lediglich Kreditgeberin für N. war, ist der Auffassung, dass die Zustellung der Klage gegen Art. 13 HZÜ verstoße, weil sie durch die Zustellungsanordnung in ein aus rechtsstaatlicher Sicht nicht hinnehmbares Verfahren gezwungen werde, das in ihre Rechte aus Art. 12, 14 GG eingreife und das Gebot der Verhältnismäßigkeit verletze. Sie hält insb. die Höhe des geltend gemachten Anspruchs für unverhältnismäßig und die Klage deshalb für rechtsmissbräuchlich. Der Anspruch übersteige den gesamten Jahresumsatz der amerikanischen Musikverlagsindustrie um das 10fache. Bei einem Eigenkapital von 7,744 Mrd. Euro in ihrem, der Antragstellerin, gesamten Konzern gefährde eine solche Klage nicht nur ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sondern ihre Existenz. Es handele sich um die Geltendmachung von ruinösen und erdrosselnden Ersatzansprüchen. Durch die Zustellung einer Klage werde sie in einen amerikanischen Prozess hineingezwungen, in welchem ihr erhebliche Mitwirkungs- und Offenbarungspflichten auferlegt werden können. Sie solle bereits durch die Erhebung der Klage unter Druck gesetzt und in einen Vergleich hineingezwungen werden.
Mit Schriftsatz vom 24.4.2003 hat die Antragstellerin mitgeteilt, das AG G. habe erklärt, eine wirksame Zustellung der amerikanischen Klageschrift sei bislang nicht erfolgt.
Die Antragsgegnerin ist dem Vorbringen der Antragstellerin entgegengetreten.
Die Kläger haben inzwischen die Klage auf zwei US-amerikanische Tochtergesellschaften der Antragstellerin erweitert und die Klageschrift in den Vereinigten Staaten zugestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninahlt verwiesen.
II. Der gem. § 23 EGGVG zulässige Antrag ist unbegründet.
1. Die Antragsgegnerin hat ausgeführt, die Zustellung der Klageschrift sei nach gefestigter Rspr. deutscher Gerichte trotz der exorbitant hohen Schadensersatzforderung zulässig. Das HZÜ sei von der Absicht getragen, die beiderseitige Rechtshilfe zu beschleunigen und zu vereinfachen. Dieses Ziel könne nicht erreicht werden, wenn bereits im Stadium der Zustellung eine detaillierte ordre-public-Überprüfung des Klagebegehrens erfolge. Die Vorbehaltsklausel des § 13 HZÜ eröffne insb. nicht die Möglichkeit, im Rahmen der Zustellung Ermittlungen über Hintergrund, Anlass und Berechtigung des Klagebegehrens vorzunehmen. Auch die Geltendmachung von Strafschadenersatzforderungen verstoße nicht gegen deutsche Hoheitsrechte. Die bloße Zustellung der Klageschrift eröffne nicht den Vollstreckungszugriff auf das in Deutschland befindliche Vermögen der Partei. Dies sei dem Vollstreckbarkeitsverfahren vorbehalten. Im Übrigen trage derjenige, der im internationalen Geschäftsverkehr tätig werde, das Risiko, dass eine fremde Rechtsordnung auf das in ihrem Hoheitsgebiet belegene Vermögen zugreife. Das vorliegende Zustellungsersuchen beinhalte schließlich auch keine Aufforderung zur Dokumentenvorlage im Rahmen einer pre-trial discovery of documents, so dass sich...