Leitsatz (amtlich)
1. Zahlt der - erkannt zahlungsunfähige - Schuldner wesentliche Betriebsausgaben trotz erheblichen Vollstreckungsdrucks und Drohung mit einem Insolvenzantrag regelmäßig mit einer mehr als einmonatigen Verspätung, bittet nach Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen unter Hinweis auf fehlende Liquidität um Zahlungsaufschub und leitet Zahlungsmittel auf ein "pfändungsfreies Konto" des Anfechtungsgegners weiter, um einzelne Gläubiger zu befriedigen, lässt sich auch nach der Neuausrichtung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Vorsatzanfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO aF (BGH, Urt. v. 06.05.2021 - IX ZR 72/20) der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners feststellen.
2. Kennt der Anfechtungsgegner die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und verwendet mit Rücksicht auf dessen wirtschaftliche Zwangslage weisungsgemäß und wissentlich anvertraute Gelder gezielt zur Befriedigung von bestimmten einzelnen Gläubigern, greift die Vorsatzanfechtung auch gegenüber dem Zahlungsmittler durch.
Normenkette
InsO a.F. § 133 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Aktenzeichen 6 O 484/19) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 13.01.2021 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Mönchengladbach (6 O 484/19) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 86.971,86 EUR.
Gründe
I. Der Kläger macht als Insolvenzverwalter in dem auf einen Eigenantrag vom 18.07.2016 hin am 01.09.2016 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. GmbH (Schuldnerin) gegen den Beklagten Ansprüche aus Insolvenzanfechtung geltend. Die vormals unter R. M. .GmbH firmierende Schuldnerin, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer bis zum Jahr 2009 der Beklagte war, war als Verleiherin von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf Grundlage einer unbefristeten Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit tätig. Der Beklagte war auch nach seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft für die Schuldnerin tätig und u.a. mit Angelegenheiten der Buchhaltung und des Zahlungsverkehrs betraut. Er diente Gläubigern als Ansprechpartner und führte Verhandlungen wegen aufgetretener Zahlungsrückstände.
Im Laufe des Geschäftsjahres 2015 befand sich die Schuldnerin in einer Ertrags- und Liquiditätskrise, seit August 2015 zahlte sie die fortlaufend fällig werdenden Sozialversicherungsbeiträge für ihre Arbeitnehmer nicht zum Fälligkeitszeitpunkt, vielmehr nur schleppend, unvollständig und teilweise erst nach Mahnungen. Das Finanzamt M. pfändete in regelmäßigem Abstand das Konto der Schuldnerin wegen erheblicher Steuerrückstände, so im März 2016 wegen eines Betrages von 83.000 EUR, nachdem es der Schuldnerin bereits im Februar einen Insolvenzantrag angedroht hatte. Mitte April erfolgte eine weitere Zahlungsaufforderung des Finanzamts über rd. 33.500 EUR. Gegenüber dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) bestand bereits seit 31.03.2015 eine fällige Verbindlichkeit der Schuldnerin i.H.v. 13.500 EUR; nach einer Vollstreckungsandrohung im Januar 2016 nahm der Beklagte persönlich telefonischen Kontakt mit der zuständigen Sachbearbeiterin des LVR auf und bat unter Hinweis auf die fehlende Liquidität der Schuldnerin um Stundung der Forderung.
Zwischen dem 26.04.2016 und dem 15.07.2016 wurden von dem Konto der Schuldnerin (u.a.) die hier streitgegenständlichen 14 Zahlungen im Gesamtumfang von 86.971,86 EUR (Aufstellung S. 4 der Klageschrift) auf das Konto des Beklagten vorgenommen, deren Rückgewähr der Kläger nebst Zinsen und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.863,40 EUR begehrt. Der Kläger hat geltend gemacht, die Zahlungen seien gemäß § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar, da die Schuldnerin - wie sie und der Beklagte gewusst hätten - aufgrund der vorliegenden Indizien zahlungsunfähig gewesen sei und die Benachteiligung anderer Gläubiger in Kauf genommen habe.
Der Beklagte hat geltend gemacht, es fehle an einem Benachteiligungsvorsatz, denn die Zahlungen seien ausschließlich erfolgt, um Gläubiger zu befriedigen. Zu diesem Zweck habe die Zahlungsabwicklung über ein pfändungsfreies Konto erfolgen sollen. Bei den beiden Zahlungen am 26.04.2016 (Nr. 1 und 2) habe es sich um irrtümliche Zahlungen einer seiner - des Beklagten - Kundinnen an die Schuldnerin gehandelt. Die Zahlungen Nr. 3, 4, 6, 7, 8 und 14 über insgesamt 9.383,09 EUR habe er nach deren Erhalt als Lohnzahlungen an Mitarbeiter der Schuldnerin weitergeleitet, mit den Zahlungen Nr. 5, 9, 10 und 13 i.H.v. 42.612,26 EUR habe er die Schuldnerin betreffende Gläubigerforderungen beglichen bzw. der Schuldnerin liquide Mittel zur Verfügung gestellt. ...