Leitsatz (amtlich)
1. Ein Rechtsanwalt kann für einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen eine nach § 299 Abs. 2 ZPO bewilligte Akteneinsicht antragsbefugt sein, wenn er geltend macht, durch die behördlich angeordnete Gewährung der Akteneinsicht in eigenen Rechten, vor allem in seinem Urheberrecht oder in Grundrechten, verletzt zu sein.
2. Anwaltliche Schriftsätze genießen nur dann urheberrechtlichen Schutz, wenn und soweit sie aufgrund objektiv eindeutiger und hinreichend genau identifizierbarer inhaltlicher oder formaler Umstände das Ergebnis einer eigenen schöpferischen Tätigkeit des Rechtsanwalts sind und ihr Aufbau und/oder Inhalt nicht durch sachliche Notwendigkeiten oder eine bestehende Zweckmäßigkeit vorgegeben ist.
3. Ein Rechtsanwalt kann im Allgemeinen eine Akteneinsicht nach § 299 Abs. 2 ZPO nicht mit dem Hinweis auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht oder seine Berufsausübungsfreiheit verhindern.
Normenkette
EGGVG § 23 Abs. 1 S. 1, § 24 Abs. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; ZPO § 299 Abs. 2
Tenor
I. Der Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsteller vertritt als Rechtsanwalt den Kläger ... in einem Arzthaftungsprozess vor dem Landgericht Duisburg (Az.: 12 O 171/21). Das Verfahren ist noch nicht beendet.
Die ... ist die gesetzliche Krankenkasse des Klägers. Sie begehrt Einsicht in die Gerichtsakte, soweit es um den geltend gemachten Behandlungsfehler geht. Der Antragsteller hat dem unter Hinweis auf ein ihm zustehendes Urheberrecht an seinen anwaltlichen Schriftsätzen widersprochen.
Der Antragsgegner hat die beantragte Akteneinsicht gleichwohl bewilligt.
Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Er verweist auf die Entscheidung des OVG Hamburg vom 20.9.2021 zum Aktenzeichen 3 Bf 87/18 und meint, die Überlassung seiner in der Prozessakte enthaltenen Schriftsätze an die ... verletze sein Urheberrecht, sein allgemeines Persönlichkeitsrecht und seine Berufsfreiheit und müsse daher unterbleiben. Die ... könne seine anwaltlichen Dienste gegen Entgelt in Anspruch nehmen, statt durch Akteneinsicht "abzukupfern".
Der Antragsteller beantragt,
die angefochtene Entscheidung abzuändern und die Akteneinsicht insoweit abzulehnen, wie eine Einsicht in seine (des Antragstellers) Schriftsätze, namentlich in die Klageschrift vom 5. November 2021, verlangt wird.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.
Er hält die vom Antragsteller angeführte Gerichtsentscheidung für nicht einschlägig, weil sie sich mit dem Hamburgischen Transparenzgesetz und nicht mit § 299 Abs. 2 ZPO befasse, und meint, dem Informationsinteresse der Krankenkasse gebühre der Vorrang vor den Rechten des Antragstellers.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gerichtlichen Akte und des Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners (Az.: 1451 E - 22 (234)) sowie der beigezogenen Prozessakte 12 O 171/21, LG Duisburg, Bezug genommen.
II. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung bleibt erfolglos.
A. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist der Antragsteller antragsbefugt, weil er geltend macht, durch die behördliche angeordnete Gewährung der Akteneinsicht in eigenen Rechten, vor allem in seinem Urheberrecht, verletzt zu sein (§ 24 Abs. 1 EGGVG).
B. Der Antrag ist indes unbegründet. Der Antragsgegner hat im Ergebnis zu Recht die Schriftsätze des Antragstellers nicht von der Akteneinsicht nach § 299 Abs. 2 ZPO ausgenommen. Der Antragsteller kann aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt der bewilligten Akteneinsicht widersprechen.
1. Die vom Kläger gefertigten Schriftsätze genießen keinen urheberrechtlichen Schutz.
a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG gehören zu den geschützten Werken der Lite-ratur, Wissenschaft und Kunst insbesondere Sprachwerke, wie Schriften, Reden und Computerprogramme, nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG auch Darstellungen wissen-schaftlicher oder technischer Art wie Zeichnungen, Pläne, Karten, Skizzen, Tabellen und plastische Darstellungen. Voraussetzung ist nach § 2 Abs. 2 UrhG, dass es sich bei den Werken um persönliche geistige Schöpfungen handelt. Soll ein Werk von den schöpferischen Beiträgen seines Urhebers geprägt sein und sich insoweit durch Individualität oder Originalität auszeichnen, muss ein Gestaltungs-spielraum bestehen. Dieser findet sich bei Sprachwerken wissenschaftlichen und technischen Inhalts in erster Linie in der Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffes, nicht hingegen ohne Weiteres auch in der Gedankenformung und -führung des dargebotenen Inhalts. Soweit die schöpferische Kraft eines Schriftwerks allein im innovativen Charakter seines Inhalts liegt, kommt ein Urheberrechtsschutz nicht in Betracht. Denn der gedank-liche Inhalt eines Schriftwerkes muss einer freien geistigen Auseinandersetzung...