Leitsatz (amtlich)

1. Einschränkende Zusätze nach § 35 PStV dürfen in das Personenstandsregister eingetragen werden, wenn und soweit sich der relevante Sachverhalt trotz Ausschöpfung aller zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten nicht aufklären lässt.

2. Werden Zusätze im Sinne von § 35 PStV ohne die gebotenen Aufklärungsbemühungen eingetragen, sind diese schon deshalb zu streichen, weil sie rechtswidrig in das Register aufgenommen worden sind (Gesichtspunkt der Folgenbeseitigung).

3. Dass der nach dem Personenstandsrecht zur Anzeige Verpflichtete gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 PStG die für die Beurkundung des Personenstandsfalls erforderlichen Angaben zu machen und die erforderlichen Nachweise zu erbringen hat, entbindet das Standesamt (und die zur Überprüfung seiner Entscheidung berufenen Gerichte) nicht von ihrer Verpflichtung, den rechtlich erheblichen Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären.

a) Aus der Vorlagepflicht des Beteiligten ist insbesondere nicht abzuleiten, dass das Standesamt sich im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht mit der Benennung der benötigten Urkunden beschränken kann und es Sache des Beteiligten ist, den Nachweis der personenstandsrelevanten Tatsachen zu erbringen.

b) Vielmehr hat der Beteiligte nur an der Sachverhaltsaufklärung durch das Standesamt (und die berufenen Gerichte) mitzuwirken.

4. Zur Konkretisierung dieser Mitwirkungsobliegenheit sind im Personenstandsverfahren die vom Bundesverwaltungsgericht zur Identitätsfeststellung im Einbürgerungsverfahren (Beschluss vom 23.9.2020, 1 C 36/19) entwickelten Grundsätze anzuwenden.

a) Das in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht gebietet es, dass der um Registerberichtigung Nachsuchende eine realistische Chance auf Klärung seiner Identität haben muss.

b) Eine Mitwirkungsobliegenheit des Beteiligten besteht nur, wenn und soweit dem Betroffenen sachdienliche Auskünfte zur Klärung des Sachverhalts und/ oder die Beibringung von erforderlichen Nachweisen objektiv möglich und subjektiv zumutbar sind.

c) Der Identitätsnachweis muss auch für denjenigen Betroffenen möglich bleiben, der sich in einer Beweisnot befindet und weder aussagekräftige öffentliche noch tragfähige sonstige Urkunden oder belastbare andere Beweismittel beibringen kann und letztlich auf seine eigenen Angaben zur Sache beschränkt ist.

 

Normenkette

GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; PStG §§ 9-10, 48 Abs. 1 S. 1; PStV §§ 33, 3335

 

Verfahrensgang

AG Kleve (Aktenzeichen 8 III 3/21)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom 11. März 2022 geändert.

Das beteiligte Standesamt wird angewiesen, die im Geburtenregister G 1437/2020 des Standesamts Moers bei den Eintragungen zur Beteiligten zu 1. als Kindesmutter und zu dem Kind ... vorhandenen einschränkenden Zusätze "Identität nicht nachgewiesen" und "Namensführung nicht nachgewiesen" zu streichen.

III. Die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 1. tragen die Beteiligten zu 3. und zu 4. als Gesamtschuldner.

III. Der Beschwerdewert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beteiligte zu 1., ledig und nigerianische Staatsangehörige, ist die Mutter des am 12. Juni 2020 in Deutschland geborenen ... Der Beteiligte zu 2. ist deutscher Staatsangehöriger und hat die Vaterschaft des Kindes am 30. Juni 2020 mit Zustimmung der Beteiligten zu 1. anerkannt (GA 35).

Das bei dem Beteiligten zu 3. geführte Geburtenregister enthält bei der Eintragung der Beteiligten zu 1. den einschränkenden Zusatz "Identität nicht nachgewiesen" und bei dem Kind ... den Zusatz "Namensführung nicht nachgewiesen" (GA 6). Sowohl der Beteiligte zu 3. als auch der Beteiligte zu 4. lehnen die Streichung der Zusätze ab, weil die Identität der Beteiligten zu 1. durch eine Vorlage ihres nigerianischen Reisepasses nicht zweifelsfrei nachzuweisen sei. Da das Legalisationsverfahren für öffentliche Urkunden aus Nigeria wegen einer unzureichenden Urkundensicherheit seit dem Jahr 2000 eingestellt sei, müsse die Echtheit öffentlicher Urkunden aus Nigeria - hier: der Geburtsurkunde der Beteiligten zu 1. - durch die dortige deutsche Botschaft überprüft werden. Die dadurch entstehenden Kosten von 665 Euro müsse die Beteiligte zu 1. tragen (vgl. Schreiben des Beteiligten zu 3. vom 26.6.2020, GA 33), was diese indes wegen fehlender finanzieller Mittel abgelehnt habe (vgl. Schriftsatz der Bevollmächtigten der Beteiligten zu 1. vom 20.10.2021, GA 85).

Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss - soweit vorliegend von Interesse - den Antrag der Beteiligten zu 1. auf Streichung der beiden vorgenannten Zusätze abgelehnt und sich dem rechtlichen Standpunkt der Beteiligten zu 3. und zu 4. angeschlossen.

Dagegen wendet sich die Beteiligte zu 1. mit ihrer Beschwerde, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat. In seiner Nichtabhilfeentscheidung hat das Amtsgericht ergänzend ausgeführt, dass der Standesbeamte im Zweifelsfalle die Anforderungen an den Identitätsnachweis festsetze und sich nicht mit der Vorl...

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