Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Die von der Vergabekammer verfügte Einsichtnahme in die Vergabeakten ist selbständig anfechtbar, sofern durch einen Vollzug Rechte des von der Akteneinsicht Betroffenen in einer durch die Hauptsacheentscheidung nicht wieder gutzumachenden Weise beeinträchtigt werden können.

  • 2.

    Will ein Oberlandesgericht in Bezug auf die Zulässigkeit einer sofortigen Beschwerde gegen die Gewährung von Akteneinsicht von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts abweichen, besteht keine Vorlagepflicht nach § 124 Abs. 2 S. 1 GWB.

  • 3.

    § 111 Abs. 2 GWB ist im Lichte von § 72 Abs. 2 S. 4 GWB auszulegen und zu verstehen. Bei einer Gewährung von Akteneinsicht ist die Vorschrift zur Ausfüllung der in § 111 GWB bestehenden Lücke heranzuziehen. Die Erteilung von Akteneinsicht durch die Vergabekammer und das Beschwerdegericht hat denselben rechtlichen Regeln zu folgen. Danach ist die von der Forderung nach einem effektiven Rechtsschutz, dessen Unterstützung das Recht auf Akteneinsicht dient, gesicherte Einhaltung des vergaberechtlichen Gebots eines transparenten und chancengleichen Wettbewerbs gegen die auf dem Spiel stehenden Geheimhaltungsinteressen des von der Akteneinsicht Betroffenen abzuwägen. Ein Beurteilungsspielraum steht der Vergabekammer bei der Abwägung nicht zu.

  • 4.

    Auch der öffentliche Auftraggeber kann Träger von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen sein (im Anschluss an BGH NJW 1995, 2301).

  • 5.

    Ein "in camera"-Verfahren ist in Vergabenachprüfungsverfahren grundsätzlich ausgeschlossen.

  • 6.

    Zu einer auf ein Akteneinsichtsgesuch im Einzelfall anzustellenden Interessenabwägung.

 

Verfahrensgang

VK Köln (Entscheidung vom 12.10.2007; Aktenzeichen VK VOB 24/2007)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Köln vom 12. Oktober 2007 (VK VOB 24/2007) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 350.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Antragsgegner, eine vom Land Nordrhein-Westfalen als teilrechtsfähiges Sondervermögen u.a. für einen Erwerb und eine Veräußerung sowie für Neubauten und die Verwaltung von Liegenschaftsvermögen des Landes eingesetzte Stelle, schrieb im Juni 2007 im offenen Verfahren die schlüsselfertige Errichtung von Neubauten nebst Planungs- und Ingenieurleistungen für die Fachhochschule Aachen in Jülich aus. Die ermittelten Ausführungskosten beliefen sich auf rund 54 Mio Euro, die Planungs- und Ingenieurkosten auf 5,7 Mio Euro. 57 Mio Euro wurden in den Haushalt eingestellt. Die drei eingehenden Angebote übertrafen die Kostenermittlung erheblich. Davon schloss der Antragsgegner zwei Angebote (Angebotspreise gut 64 Mio Euro und knapp 69 Mio Euro) aus formalen Gründen aus. Das Angebot der Antragstellerin (Angebotspreis ca. 73 Mio Euro) verblieb zunächst in der Wertung. Jedoch entschied der Antragsgegner, die Ausschreibung aus anderen schwer wiegenden, nämlich aus wirtschaftlichen Gründen aufzuheben (§ 26 Nr. 1 c VOB/A) und zu einem Verhandlungsverfahren überzugehen.

Nach erfolgloser Rüge stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag, mit dem sie einer Aufhebung des Vergabeverfahrens widersprach. Die Antragstellerin stellte die Richtigkeit der Kostenermittlung des Antragsgegners und die Eignung, zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit einer Auftragserteilung herangezogen zu werden, in Abrede. Sie bezeichnete den von ihr angebotenen Preis als angemessen und beantragte zur Überprüfung von deren Richtigkeit Akteneinsicht in die Kostenermittlung des Antragsgegners.

Der Antragsgegner trat dem Antrag entgegen. Er befürchtete aufgrund einer Einsichtnahme Wettbewerbseinschränkungen und -verzerrungen, insbesondere einen Wissensvorsprung der Antragstellerin bei künftigen Ausschreibungen.

Die Vergabekammer gab dem Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht statt. Dagegen hat der Antragsgegner sofortige Beschwerde erhoben, mit der er seinen bisherigen Vortrag wiederholt und vertieft. Er beruft sich auf Geheimhaltungsinteressen sowie nunmehr ergänzend auf den weiteren Aufhebungsgrund des § 26 Nr. 1 a VOB/A (kein Angebot eingegangen, das den Ausschreibungsbedingungen entspricht). Der Antragsgegner trägt vor, auch das Angebot der Antragstellerin sei aus mehreren, bislang unentdeckt gebliebenen formalen und Eignungsgründen von der Wertung auszuschließen.

Der Antragsgegner beantragt,

den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Akteneinsicht abzulehnen, soweit er die Kostenschätzung betrifft.

Die Antragstellerin beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragstellerin verteidigt die Entscheidung der Vergabekammer.

Die Verfahrensbeteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und auf die vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

Die sofortige Beschwerde ...

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