Leitsatz (amtlich)

1. Durch das Vorschriftzeichen 220, Anlage 2 zur StVO i.V.m. § 41 Abs. 1 StVO ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der allein zugelassenen Fahrtrichtung untersagt.

2. Wer in einer Einbahnstraße in Fahrtrichtung vom Fahrbahnrand anfährt, muss nicht damit rechnen, dass ihm ein Kraftfahrzeug entgegen kommt. Im Falle einer Kollision besteht daher kein Anschein für ein Verschulden des vom Fahrbahnrand Anfahrenden, § 10 StVO.

3. Dessen Mithaftung ist nur gerechtfertigt, wenn der Rückwärtsfahrer dem Anfahrenden ein unfallursächliches Aufmerksamkeitsverschulden nachweisen kann.

 

Normenkette

StVO § 1 Abs. 2, § 9 Abs. 5, §§ 10, 41 Abs. 1, § 49 Abs. 3 Nr. 4

 

Verfahrensgang

LG Wuppertal (Aktenzeichen 4 O 174/15)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal - Einzelrichter - vom 19.07.2016 - Az.: 4 O 174/15 unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung und der Anschlussberufung der Beklagten teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 5.159,18 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.07.2015 zu zahlen.

Die Beklagten werden weiterhin als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Anwaltskosten i.H.v. 250,10 EUR freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz sowie des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

A. pp.

B. Die Berufung und die Anschlussberufung sind zulässig. Die Berufung des Klägers ist ganz überwiegend begründet, die Anschlussberufung hingegen im Ergebnis nicht. Im Gegensatz zur Auffassung des Landgerichts haften die Beklagten gesamtschuldnerisch in vollem Umfang für alle nachweisbaren Schäden des Klägers.

I. Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf umfassenden Schadenersatz gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG.

Grundsätzlich haben die Beklagten nach den vorgenannten Vorschriften für die Schäden einzustehen, die bei dem Betrieb des von ihnen geführten und versicherten Pkw's entstanden sind. Da auch der Kläger an dem Unfall mit seinem Kraftfahrzeug beteiligt und der Unfall für keinen der Beteiligten ein unabwendbares Ereignis war, sind die jeweiligen Verursachungsbeiträge der Beteiligten gemäß §§ 17, 18 Abs. 3 StVG gegeneinander abzuwägen.

1. a) Der Unfall stellte für keinen der Beteiligten ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 S. 1 StVG dar. Entgegen der in der Berufungsbegründung geäußerten Ansicht des Klägers kann sich dieser auf die Haftungsbefreiung nach der genannten Vorschrift nicht mit Erfolg berufen. Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Abzustellen ist insoweit auf das Verhalten des sogenannten "Idealfahrers" (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 17 StVG, Rn. 22). Vorliegend kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein besonders umsichtiger Fahrer, als er die Rückfahrabsicht der Beklagten zu 1. erkannte, unmittelbar die verbleibende Zeit genutzt hätte, um die nach eigenen Angaben (Bl. 71 d. A.) wenigen Zentimeter (30-40 cm) zurück in die Ausgangsposition zu fahren. Damit hätte er die Straße geräumt. Da die Beklagte zu 1. nach eigenen Angaben des Klägers (Bl. 71 d. A.) den Rückwärtsgang bereits vier Fahrzeuglängen vor dessen Standort eingelegt hatte, dürfte diesem genügend Zeit für ein Zurückfahren in den Taxenstand zur Verfügung gestanden haben.

b) Für die Beklagte zu 1. war das Unfallgeschehen schon deswegen abwendbar, weil sie bei größtmöglicher Vorsicht auf eine Rückwärtsfahrt in der Einbahnstraße hätte verzichten und nach einer Runde um den Berliner Platz den von ihr gewünschten Parkplatz sodann in einer deutlich ungefährlicheren Fahrt in Vorwärtsrichtung hätte erreichen können.

2. Bei der angesichts einer fehlenden Unabwendbarkeit durchzuführenden Abwägung kommt es insbesondere darauf an, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. In jedem Fall sind in ihrem Rahmen unstreitige bzw. zugestandene oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen (vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Januar 1995 - VI ZR 247/94 -, juris; Senat, Urteil vom 08.10.2011, Az.: I-1 U 17/11). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er die nach der Abwägung für sich günstigen Rechtsfolgen herleiten will (BGH, Urteile vom 15. November 1960 - VI ZR 30/60 - VersR 1961, 249, 250; vom 8. Januar 1963 - VI ZR 35/62 - VersR 1963, 285, 286; vom 23. November 1965 aaO S. 165; vom 29. November 1977 - VI ZR 51/76 - VersR 1978, 183, 185).

a) Der Beklagten zu 1. fällt ein schuldhafter Verstoß gegen das Gebot, eine Einbahnstraße nur in die vorgeschriebene Fahrtrichtung zu befahren (Vorschriftszeichen 220, Anlage 2 zur StVO i.V.m. §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO) sowie ein solcher gegen § 9 Abs. 5 StVO zur Last, welche sich die Beklagte zu 2. zurechnen ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge