Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterlassungsvollstreckung: Verpflichtung zur Information von Werbeadressaten über das Verbot einer bisher verwendeten Werbeaussage
Leitsatz (amtlich)
1. Der Schuldner eines auf das Verbot einer Werbeaussage gerichteten Unterlassungstitels ist über die Entfernung der Aussage in seinem Werbeauftritt hinaus gehalten, die Werbeadressaten über das ergangene Verbot zu informieren, wenn - vergleichbar mit den Voraussetzungen für einen materiell-rechtlichen Widerrufsanspruch - nach den Gesamtumständen davon ausgegangen werden kann, dass die Aussage auch nach ihrer Entfernung aus dem Werbeauftritt im Gedächtnis Dritter geistig fortlebt; dies ist etwa dann der Fall, wenn die Werbeaussage über längere Zeit verwendet wurde und ein zentrales Verkaufsargument für das beworbene Produkt war (im Streitfall bejaht).
2. Liegt in dem in Ziffer 1. genannten Fall eine Zuwiderhandlung vor, ist das Verschulden gering, wenn zum Zeitpunkt dieser Zuwiderhandlung eine rechtliche Unsicherheit über den Umfang der sich aus dem Unterlassungstitel ergebenden Verpflichtungen bestand.
Normenkette
ZPO § 890
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 19.04.2018; Aktenzeichen 3-10 O 45/17) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Ordnungsmittelbeschluss des Landgerichts Frankfurt vom 19.04.2018 dahingehend abgeändert, dass die Höhe des Ordnungsgeldes auf 5.000 EUR herabgesetzt wird.
Die weitergehende Beschwerde der Antragsgegnerin sowie die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin werden zurückgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Zwangsvollstreckungsverfahrens trägt die Antragsgegnerin. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragstellerin 5/6 und die Antragsgegnerin 1/6.
Beschwerdewert: 30.000 EUR
Gründe
I. Mit einstweiliger Verfügung der 6. Zivilkammer des Landgerichts Stadt1 vom 24.11.2016, Az. ... ist der Schuldnerin, damals noch firmierend unter A GmbH, bei Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel u.a. untersagt worden, im geschäftlichen Verkehr ihr Produkt "X" mit der Rezeptur wie in dem als Anlage 1 zur Antragsschrift beigefügten Sicherheitsdatenblatt ausgewiesen mit den Angaben "X mit Sicherheit kennzeichnungsfrei (...) So ist X auch weiterhin erste Wahl in der Sanitärreinigung, wenn es um (...) die Vorteile kennzeichnungsfreier Produkte geht" zu bewerben, wenn dies geschieht wie in Anlage AS 2 zur Antragsschrift.
Die Antragstellerin hat die Verhängung von Ordnungsmitteln begehrt, da die Antragsgegnerin nach Zustellung der einstweiligen Verfügung mehrfach in schuldhafter Weise gegen die Unterlassungsverpflichtung verstoßen habe. So habe sie u.a. Händler nicht über das Werbeverbot informiert, weshalb mehrere Abnehmer weiter mit der untersagten Kennzeichnungsfreiheit geworben hätten.
Das Landgericht hat ein Ordnungsgeld in Höhe von 15.000 EUR verhängt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Antragsgegnerin habe dadurch gegen die Unterlassungsverpflichtung verstoßen, dass sie Händler nicht über das Verbot informiert habe und somit ihrer Störungsbeseitigungspflicht nicht ausreichend nachgekommen sein. Aufgrund offensiven Bewerbung der Kennzeichnungsfreiheit habe die Antragsgegnerin davon ausgehen müssen, dass diese Bewerbung den Markteilnehmern im Gedächtnis bleibe.
Hiergegen richten sich die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie eine Aufhebung des verhängten Ordnungsmittels begehrt, sowie die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin mit der sie die Erhöhung des Ordnungsgeldes um ein Vielfaches begehrt.
II. Während die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin teilweise Erfolg hatte, blieb dieser der Anschlussbeschwerde der Antragstellerin versagt. Dass Landgericht hat dem Grunde nach zu Recht ein Verstoß gegen die einstweilige Verfügung angenommen; lediglich der Höhe nach war aufgrund der besonderen Umstände im Nachgang zur neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Umfang der Unterlassungsverpflichtung das Ordnungsmittel übersetzt.
1.) Einer eigenen Sachentscheidung des Senats steht nicht entgegen, dass das Landgericht seine Abhilfeentscheidung nicht begründet hat. Allerdings stellt die fehlende Begründung der Nichtabhilfeentscheidung regelmäßig einen schweren Verfahrensfehler dar, der eine Rückgabe der Sache an das Erstgericht erfordert (OLG Frankfurt, Beschl. vom 20.11.2009, 11 W 59/09, BeckRS 2010, 1576 m.w.N.). Eine zulässige Vorlage an das Beschwerdegericht setzt die Durchführung eines ordnungsgemäßen Abhilfeverfahrens voraus. Der Abhilfebeschluss muss eine auf den Einzelfall bezogene Sachüberprüfung der mit der Beschwerde vorgetragenen Beanstandungen enthalten. Andernfalls wird der mit § 572 I ZPO verfolgte Zweck unterlaufen, durch die Vorschaltung einer Selbstkontrolle ein weiteres Beschwerdeverfahren zu vermeiden.
Das Landgericht hat hier die neuen Ausführungen der Antragstellerin im Rahmen der Anschlussbeschwerde nicht beschieden und ohne weitere Ausführungen die Sache vorgelegt. Allerdings sieht der Senat im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens von eine...