Entscheidungsstichwort (Thema)

Doppelnatur des Prozessvergleichs

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Beschluss vom 26.03.2004; Aktenzeichen 6 O 59/02)

 

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des LG Gießen - 1. Kammer für Handelssachen - vom 29.3.2004 in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 7.4.2004, durch welchen den Schuldnern die Kosten des Vollstreckungsverfahrens auferlegt worden sind, abgeändert.

Die Kosten des Vollstreckungsverfahrens hat der Gläubiger zu tragen.

Beschwerdewert: 679,09 Euro.

 

Gründe

I. Dem Beschwerdeverfahren liegt ein auf § 888 ZPO gestützter Vollstreckungsantrag des Gläubigers zugrunde, welcher an einen vor dem erstinstanzlichen Gericht am 4.3.2003 geschlossenen Vergleich anknüpft. Die hier streitgegenständliche, in Ziff. 5 des Vergleichs titulierte Verpflichtung der Schuldner lautet:

"Die Beklagten zu 1), 2) und 3) erbringen sämtliche Mitwirkungshandlungen, die erforderlich sind, damit eine Entlassung des Klägers aus ggü. der Volksbank eingegangenen Bürgschaften erfolgen kann."

Seinen Vollstreckungsantrag begründete der Gläubiger damit, die Schuldner hätten "sämtliche erforderlichen Mitwirkungshandlungen zur Erreichung der Entlassung des Klägers aus den ggü. der Volksbank eingegangenen Bürgschaften und Darlehen" nicht erbracht, insb. eine der Volksbank vorzulegende Auseinandersetzungsbilanz nicht erstellt.

Nach Hinweis des LG auf Bedenken wegen der Vollstreckungsfähigkeit stellte der Gläubiger klar, dass "zurzeit nur als konkrete Handlung ... die Vorlage der Auseinandersetzungsbilanz" begehrt werde.

Nachdem in der Folgezeit der Gläubiger aus sämtlichen Krediten und Bürgschaften Dritter ohne Vorlage einer Auseinandersetzungsbilanz durch die Schuldner entlassen worden war, erklärten die Parteien bei gegenseitigen Kostenanträgen das Vollstreckungsverfahren übereinstimmend für erledigt.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das LG die Kosten des Vollstreckungsverfahrens den Schuldnern auferlegt.

Gegen diesen am 31.3.2004 zugestellten Beschluss haben die Schuldner mit am 6.4.2004 eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt, welcher das erstinstanzliche Gericht durch Beschluss vom 7.4.2004 nicht abgeholfen hat.

Der Gläubiger verteidigt die angegriffene Entscheidung.

II. Die nach § 91a Abs. 2 S. 1 ZPO an sich statthafte, nach §§ 567 ff. ZPO auch form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

Das LG hat die Kosten des Vollstreckungsverfahrens nach Erledigung der Hauptsache auf der Grundlage von § 91a Abs. 1 ZPO zu Unrecht den Schuldnern auferlegt. Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes entsprach es allein billigem Ermessen, die Kosten des Vollstreckungsverfahrens dem Gläubiger aufzuerlegen, weil dessen Vollstreckungsantrag als unbegründet hätte zurückgewiesen werden müssen.

Der Vollstreckungsantrag des Gläubigers hatte keine Aussicht auf Erfolg, weil Ziff. 5 des durch den Vergleich geschaffenen Titels (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), an welchen der Vollstreckungsantrag anknüpfte, evident keinen vollstreckungsfähigen Inhalt aufweist.

1. Die hier streitige Verpflichtung der Schuldner ist Teil eines einen Rechtsstreit abschließenden Vergleichs, welcher nach allgemeiner Auffassung eine rechtliche Doppelnatur hat. Der Vergleich ist nämlich sowohl eine nach den Grundsätzen des Verfahrensrechts zu beurteilende Prozesshandlung; diese ist für das Zustandekommen des Titels i.S.d. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO konstitutiv. Zugleich beinhaltet der Prozessvergleich auch einen privatrechtlichen Vertrag, für den die Regeln des materiellen Rechts gelten (BGH v. 19.5.1982 - IVb ZR 705/80, MDR 1982, 1005 = FamRZ 1982, 782 f.).

Inhalt und Umfang der materiell-rechtlichen Vereinbarung einerseits und des den Vollstreckungstitel begründenden prozessualen Vertrages andererseits können auseinander fallen. Denn während die Parteien durch den Prozessvergleich materiell-rechtlich auch so weit gebunden sein können, als ihr übereinstimmender Wille nach außen nicht eindeutig hervortritt, stellt ein Prozessvergleich einen zur Vollstreckung geeigneten Titel nur her, wenn er einen aus sich heraus genügend bestimmten oder doch bestimmbaren Inhalt hat (Stöber in Zöller, ZPO, 24. Aufl., § 794 Rz. 14; Wolfsteiner in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 724 Rz. 31 ff.; § 794 Rz. 87). Für die Feststellung der prozessrechtlichen Wirkungen des Vergleichs ist daher nicht in erster Linie auf den übereinstimmenden Willen der Parteien abzustellen, der den Inhalt des materiell-rechtlichen Vertrages bestimmt und für diesen selbst dann maßgebend bleibt, wenn die Erklärungen der Vertragspartner objektiv eine andere Bedeutung haben sollen. Vielmehr ist entscheidend darauf abzustellen, wie das Vollstreckungsorgan den Inhalt der zu erzwingenden Leistungen vernünftigerweise verstehen und festlegen muss (Münzberg in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., vor § 704 Rz. 26). Unabhängig von seinem Inhalt und der danach in Betracht kommenden Vollstreckungsart muss deshalb jeder Vollstreckungstitel aus sich selbst heraus nicht nur für G...

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