Entscheidungsstichwort (Thema)
Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme
Leitsatz (amtlich)
Zum Recht eines beklagten Zahnarztes, bei der Untersuchung der von ihm zahnärztlich behandelten Klägerin durch den gerichtlichen Sachverständigen im Rahmen einer Beweisaufnahme anwesend zu sein.
Normenkette
ZPO § 357
Tenor
Der Beklagte hat das Recht, bei der zahnärztlichen Untersuchung der Klägerin durch den Sachverständigen anwesend zu sein.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
Dem Beklagten, der die Klägerin in den Jahren 2002 und 2003 zahnärztlich behandelt hat, war erstinstanzlich seitens des durch das LG bestellten Sachverständigen Dr. SV1 mit Schreiben vom 30.3.2006 (Bl. 231 d.A.) mitgeteilt worden, er könne an dem auf den 2.5.2006 anberaumten Untersuchungstermin teilnehmen. Am Terminstag stellte der Sachverständige Dr. SV1 es in die Entscheidungskompetenz der Klägerin, ob sie dem vor Ort anwesenden Beklagten gestatten wolle, der Untersuchung beizuwohnen. Die Klägerin verneinte dies, wobei zwischen den Parteien streitig ist, für welchen Zeitraum der Widerspruch der Klägerin gegen die Anwesenheit des Beklagten gelten sollte. Unstreitig wollte die Klägerin zumindest zunächst allein mit dem Sachverständigen sprechen. Der Beklagte entfernte sich daraufhin.
Schon erstinstanzlich (Schriftsatz vom 7.7.2006, dort S. 2, Bl. 260 d.A.) und erneut mit der Berufung rügte der Beklagte u.a. die fehlende Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme und machte geltend, es sei ihm mangels Einräumung des Anwesenheitsrechts nicht möglich gewesen, dem Gutachter gegenüber "subjektive Angaben der Klägerin" (Bl. 260 d.A.) vor Ort richtig zu stellen. Der Senat hat den Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 4.2.2010 und im Beweisbeschluss vom 22.4.2010 (Bl. 616 d.A.) mitgeteilt, dass er das erstinstanzlich eingeholte Gutachten wegen der Verletzung des Grundsatzes der Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme für nicht verwertbar halte und erneut Beweis erheben werde. Zum Sachverständigen wurde Dr. Dr. Dr. SV2 bestimmt.
Der Sachverständige hat im Zuge der den Untersuchungstermin vorbereitenden Terminsabsprachen unter Berufung auf die Entscheidung des OLG München vom 15.10.1999 (1 W 2656/99) die Ansicht vertreten, der Beklagte habe nur dann ein Anwesenheitsrecht bei der zur Durchführung der Begutachtung notwendigen Untersuchung, wenn die Klägerin damit einverstanden sei (Schreiben des Sachverständigen vom 4.10.2010, Bl. 683 f d.A.). Die Klägerin hat daraufhin ihre zunächst abgegebene Erklärung, sie habe keine Einwendungen gegen die Anwesenheit des Beklagten bei der Untersuchung (Schriftsatz vom 6.10.2010, Bl. 694 d.A.), "nicht mehr aufrechterhalten" (Schriftsatz vom 15.10.2010, Bl. 696 d.A.) und sich der Rechtsmeinung des OLG München angeschlossen.
Der Senat ist der Auffassung, dass im vorliegenden Fall ein Anwesenheitsrecht des Beklagten bei der zahnärztlichen Untersuchung der Klägerin durch den Sachverständigen besteht. Zwar stellt jede ärztliche Untersuchung einen Eingriff in die Privat- und Intimsphäre einer Person dar, jedoch greift andererseits jede Beweisaufnahme ohne Anwesenheit einer Partei in deren Recht auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren ein. Beide Rechtsgüter sind schützenswert, so dass in jedem Einzelfall eine Abwägung erforderlich ist, in die die Schwere der jeweiligen Beeinträchtigungen einzustellen ist.
Hier geht es um eine zahnärztliche Untersuchung, die - da inzwischen anderer Zahnersatz eingegliedert ist - nur in eingeschränktem Umfang Feststellungen in der Mundhöhle der Klägerin erfordert. Die Mundhöhle ist kein Bereich, bezüglich dessen gemeinhin eine besondere Scheu zur Offenbarung zu bestehen pflegt (vgl. OLG München NJW-RR 1991, 896). Der Beklagte hat in den Jahren 2002 und 2003 als der damalige Behandler der Klägerin diese bereits mehrfach zahnärztlich behandelt und untersucht. Die Befugnis hierzu hat er durch die Beendigung des Arzt-/Patientenverhältnisses und durch das damit einhergehende Entfallen der von der Klägerin erteilten Einwilligung zwar verloren; durch seine Anwesenheit bei der Untersuchung durch den Sachverständigen wird die Klägerin jedoch wegen seiner durch das ehemalige Behandlungsverhältnis bestehenden Vorkenntnisse nicht so stark belastet wie durch die Anwesenheit gänzlich fremder Personen.
Der Senat teilt nicht die Auffassung anderer OLG (Nachweise s. unten), dass bei jedweder Untersuchung einer Prozesspartei kein Anwesenheitsrecht der Gegenpartei bestehe. Vielmehr hat im jeweiligen Einzelfall nach Auffassung des Senats eine Abwägung unter Gewichtung der beiderseitigen Interessen stattzufinden. Dabei ist es durchaus von Bedeutung, auf welche Bereiche des Körpers sich die vom Sachverständigen durchzuführenden Untersuchungen beziehen und inwieweit Erläuterungen der Prozessparteien gegenüber dem Sachverständigen zu erwarten sind. Auch wenn die dem Schutz der Persönlichkeitsrechte in jedem Falle den Vorrang gebende Betrachtungsweise Entscheidungen klar und einfach macht, hat doch der vom Senat ...