Leitsatz (amtlich)

1. Kann ein Geschädigter unfallbedingt die Grundlage seiner persönlichen und wirtschaftlichen Existenz nicht aufrechterhalten, kommt wegen seiner Ansprüche aus §§ 842, 843 BGB grundsätzlich der Erlass einer Leistungsverfügung gem. § 940 ZPO in Betracht.

2. Der Verfügungsgrund kann zu verneinen sein, wenn die voraussetzende Notlage von dem Geschädigten dadurch (mit-)verursacht worden ist, dass er es schuldhaft unterlassen hat, seine Ansprüche rechtzeitig im Klageverfahren geltend zu machen.

 

Normenkette

BGB §§ 842-843; ZPO § 940

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Beschluss vom 27.03.2006; Aktenzeichen I-3 O 122/06)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Gießen vom 27.3.2006 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Der Beschwerdewert wird auf 82.500 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das LG den Erlass einer Leistungsverfügung wegen des Fehlens des erforderlichen Verfügungsgrundes als unzulässig angesehen.

Allerdings kommt insb. wegen des vom Antragsteller im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Erwerbsschadens gem. §§ 842, 843 Abs. 1 BGB grundsätzlich der Erlass einer Leistungsverfügung in Betracht. Vergleichbar den Fällen des Notunterhaltes (vgl. etwa OLG Karlsruhe v. 2.2.1995 - 2 UF 267/94, NJW 1995, 1908; OLG Frankfurt v. 12.12.1989 - 3 UF 246/89, FamRZ 1990, 540; OLG Düsseldorf v. 20.9.1991 - 3 WF 141/91, NJW-RR 1992, 198) ist eine Leistungsverfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile i.S.d. § 940 ZPO dann erforderlich, wenn ein Geschädigter unfallbedingt die Grundlage seiner persönlichen und wirtschaftlichen Existenz nicht aufrechterhalten kann, er also in eine Notlage geraten ist, so dass er dringend auf die sofortige Erfüllung seines Leistungsanspruches angewiesen ist (OLG Düsseldorf v. 13.10.1986 - 1 U 119/86, VersR 1988, 803). Wegen des Ausnahmecharakters einer Leistungsverfügung wird jedoch ein dringendes Bedürfnis zur Behebung einer Notlage i.S.d. § 940 ZPO verneint, wenn der Verletzte es schuldhaft versäumt hat, seinen behaupteten Anspruch rechtzeitig im Klageverfahren geltend zu machen, und wenn davon ausgegangen werden kann, dass bei rechtzeitiger Betreibung des ordentlichen Verfahrens im Zeitpunkt der Antragstellung auf vorläufigen Rechtschutz ein vorläufig vollstreckbarer Titel erwirkt worden wäre. Dieser im Bereich des Notunterhalts anerkannte Grundsatz (OLG Düsseldorf v. 20.9.1991 - 3 WF 141/91, NJW-RR 1992, 198, 199; OLG Frankfurt v. 12.12.1989 - 3 UF 246/89, FamRZ 1990, 540) ist auch auf Leistungsverfügungen anzuwenden, die auf Abschlagszahlungen aus Ansprüchen gem. §§ 842, 843 BGB gerichtet sind. Daran ändert der vom Antragsteller geltend gemachte Gesichtspunkt, dass die beklagte Haftpflichtversicherung des Unfallgegners zur Förderung der Regulierung verpflichtet gewesen sei und diese Verpflichtung verletzt habe, nichts.

Hier hat es der Antragsteller schuldhaft versäumt, seine behaupteten Ansprüche angemessen zügig im Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Nach dem Unfallereignis am 9.5.1998 hatte der Antragsteller - anwaltlich vertreten - zunächst einen umfangreichen Schriftverkehr mit der beklagten Haftpflichtversicherung geführt, in deren Verlauf eingeholte Gutachten und Gegengutachten zum Haftungsgrund erörtert wurden, ebenso zahlreiche ärztliche Stellungnahmen und Berichten zu den Unfallfolgen. Bis Januar 2000 leistete die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners nur geringfügige Abschlagszahlungen; wiederholte Aufforderungen zur Leistung weiterer Zahlungen blieben ohne Erfolg. Mit anwaltlichem Schreiben vom 20.1.2000 erklärte der Antragsteller der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners, dass der Klageentwurf fertiggestellt sei und die Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers vorliege. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass im Anwaltsschreiben des Klägers vom 20.1.2000 noch eine Nachuntersuchung zur Feststellung der unfallbedingten Erwerbsminderung als erforderlich angesehen wurde, musste sich dem Antragsteller jedenfalls im Frühjahr 2000 - mithin etwa zwei Jahre nach dem Unfallereignis - aufdrängen, dass die Klageerhebung erforderlich war, nicht zuletzt um eine spätere existenzielle Notlage zu vermeiden. Der psychiatrische Untersuchungsbefund ergibt nicht, dass der Antragsteller zu dieser Einsicht seinerzeit nicht in der Lage gewesen ist und ihn deshalb nicht der Vorwurf des Verschuldens trifft. Hätte der Antragsteller im Frühjahr 2000 Klage erhoben, hätte er - die Richtigkeit seines Vorbringens unterstellt - bis zum Frühjahr 2006 einen vorläufig vollstreckbaren Titel erlangt. Der Zeitraum von allenfalls sechs Jahren erscheint als Prozessdauer für den ersten Rechtszug auch mit Rücksicht auf den Umfang der erforderlichen Beweiserhebung mit Vernehmung von Zeugen und Einholung mehrerer Sachverständigengutachten ausreichend.

Der Einwand des Antragstellers, die Antragsgegner - die Beklagten des seit dem ...

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