Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterlassungsanspruch einer Person nicht-binärer Geschlechtsidentität

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 26.08.2021; Aktenzeichen 2-30 O 154/20)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 14.03.2023; Aktenzeichen X ZB 4/22)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 26.08.2021 verkündete Urteil der 30. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren: 8.000 EUR

 

Tatbestand

I. Die Parteien streiten um Ansprüche auf Entschädigung und Unterlassung. Die Beklagte ist Vertriebstochter des größten deutschen Eisbahnkonzerns. Die klagende Partei besitzt eine nicht-binäre Geschlechtsidentität, seit Oktober 2019 lautet der Geschlechtseintrag in der Geburtsurkunde "ohne Angabe". Die klagende Partei ist Inhaberin einer Mitgliedskarte1 der Beklagten und bemühte sich seit Oktober 2019 vergeblich, die hierfür bei der Beklagten hinterlegten Daten hinsichtlich der geschlechtlichen Anrede anzupassen. Zudem ist es auch beim Online-Fahrkartenkauf als nicht registrierte Person im System der Beklagten zwingend erforderlich, zwischen einer Anrede als Frau oder Herr auszuwählen. Die klagende Partei ist der Ansicht, ihr stehe ein Anspruch auf Entschädigung und Unterlassung gegen die Beklagte zu, da deren Verhalten diskriminierend sei.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 26.08.2021 der Klage teilweise stattgegeben. Es hat ausgeführt, der klagenden Partei stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung nach §§ 21 Abs. 1 S. 2 i.V.m. 19, 3 und 1 AGG zu, da die zwingende Auswahl einer Anrede als Frau oder Herr im Zusammenhang mit der Mitgliedskarte1 oder beim Online-Fahrkartenkauf eine Benachteiligung im Sinne des AGG darstelle. Jedoch sei der Beklagten eine Frist von einem halben Jahr einzuräumen, um den Eingriff zu beenden. Ein Zahlungsanspruch aus § 21 Abs. 2 S. 3 AGG stehe der klagenden Partei nicht zu. Im Rahmen der gebotenen Abwägung sei das in der zögerlichen Umsetzung liegende Fehlverhalten der Beklagten im Hinblick auf den erfolgten Eingriff nicht als so schwer zu bewerten, als dass es die Zahlung einer Geldentschädigung begründe.

Die klagende Partei hat gegen das ihr am 09.09.2021 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 06.10.2021 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 07.12.2021 zurückgenommen.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 22.09.2021 eine Berufung eingelegt (GA 171 f.). In dieser Berufungsschrift sind die Parteien des erstinstanzlichen Rechtsstreits zutreffend benannt. Das erstinstanzliche Aktenzeichen des Landgerichts Frankfurt am Main ist unzutreffend mit 2-13 O 154/20 angegeben, das Verkündungsdatum ist unzutreffend mit 26.07.2021 angegeben, das Zustellungsdatum ist unzutreffend mit dem 09.09.2021 angegeben. Der elektronisch übermittelten Berufungsschrift war keine Anlage und damit keine Kopie der angefochtenen Entscheidung beigefügt.

Auf die seitens des Oberlandesgerichts mit Verfügung vom 05.10.2021 erfolgte Aktenanforderung an das Landgerichts Frankfurt am Main kam am 12.10.2021 die Mitteilung, dass das Aktenzeichen unzutreffend sei (GA 173, 175). Am 13.10.2021 erfolgte eine telefonische Nachfrage seitens des Oberlandesgerichts im Büro der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, nach der das landgerichtliche Aktenzeichen - nunmehr zutreffend - mit 2-30 O 154/20 angegeben und die zutreffende Akte sodann an diesem Tage vom Landgericht angefordert wurde (GA 175 R).

Die Beklagte ist der Auffassung, die Berufung sei trotz fehlerhafter Angaben in der Berufungsschrift zulässig. Mit Schriftsatz vom 05.11.2021 hat sie hilfsweise Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist gestellt (GA 203 ff. d.A.).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 07.02.2022 und die dort in Bezug genommenen Schriftsätze der Parteien verwiesen (GA 260 ff.).

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die klagende Partei beantragt,

den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten abzulehnen und die Berufung der Beklagten als unzulässig zu verwerfen.

II. Die Berufung der Beklagten ist gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 517 ZPO eingelegt wurde. Gründe für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist bestehen nicht.

1) Die Frist zur Einlegung der Berufung lief nach der am 10.09.2021 erfolgten Zustellung des Urteils vom 26.08.2021 an die Beklagte am 11.10.2021 (Montag) ab. Die Beklagte hat mit dem am 22.09.2021 eingegangenen Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigen nicht wirksam Berufung gegen das landgerichtliche Urteil eingelegt, da aufgrund der mehrfach fehlerhaften Angaben in der Rechtsmittelschrift keine Klarheit über den Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens bestand. Die mit Schriftsatz vom 15.11....

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