Leitsatz (amtlich)
- Sofern die nicht miteinander verheirateten Kindeseltern die gemeinsame elterliche Sorge aufgrund eines Beschlusses des Familiengerichts innehaben, der auf der Entscheidung des BVerfG vom 21.7.2010 (BVerfG NJW 2010, 3008) beruht und der von diesem in seiner Übergangsregelung geforderten Feststellung, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl entspricht, ist eine Änderung weiterhin nach § 1696 Abs. 1 S. 1 BGB vorzunehmen.
- Da nach dem Wortlaut des seit 19.5.2013 geltenden § 1626a Abs. 2 BGB die elterliche Sorge oder ein Teil der elterlichen Sorge beiden Eltern gemeinsam zu übertragen ist, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht, handelt es sich im Hinblick auf den unterschiedlichen Maßstab der Kindeswohlprüfung bei Entscheidungen auf Grund der Übergangsregelung des BVerfG nicht um eine Entscheidung nach § 1626a Abs. 2 BGB, weshalb eine Anwendung des § 1696 Abs. 1 S. 2 BGB für diese Fälle ausscheidet.
- Triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe, die gem. § 1696 Abs. 1 S. 1 BGB eine Abänderung der Sorgerechtsentscheidung erfordern, liegen vor, wenn die Gründe, die für eine Änderung sprechen, die damit verbundenen Nachteile deutlich überwiegen (OLG Frankfurt FamRZ 2011, 1875). Es widerspricht dem Kindeswohl, wenn sein Lebensmittelpunkt ständig in Frage gestellt wird und der fortdauernde Elternstreit über den Lebensmittelpunkt dem Kind nicht mehr zumutbar ist.
Normenkette
BGB §§ 1626a, 1671, 1696
Verfahrensgang
AG Bensheim (Beschluss vom 21.12.2012; Aktenzeichen 73 F 562/12 SO) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder M und E, hinsichtlich E in Abänderung der Entscheidung des AG - Familiengericht - Bensheim vom 1.2.2011, zur alleinigen Ausübung übertragen. Im Übrigen bleibt es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge.
Die Anschlussbeschwerde des Kindesvaters wird zurückgewiesen.
Den Eltern wird aufgegeben, Elterngespräche bei der Beratungsstelle für Eltern-, Kinder- und Jugendhilfe ... zu führen, wobei es auch möglich ist, zunächst Einzelgespräche zu führen, mit dem Ziel gemeinsamer Gespräche zur Verbesserung der Kommunikation.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden zwischen den Kindeseltern gegeneinander aufgehoben.
Der Beschwerdewert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten zu 4) und 5) streiten um die Regelung der gemeinsamen elterlichen Sorge für ihre Kinder M und E. Die Kinder leben im Haushalt der Kindesmutter; aufgrund einer Umgangsregelung haben die Kinder alle 14 Tage von Donnerstagnachmittag Kindergarten- bzw. Schulende bis Montagmorgen Umgang mit dem Kindesvater. Der Kindesvater strebt ein Wechselmodell an, welches vom AG im Parallelverfahren betreffend den Umgang (73 F 169/12 UG) angeordnet wurde und welches ebenfalls Gegenstand eines beim Senat anhängigen Beschwerdeverfahrens ist (6 UF 29/13). Mit dem angefochtenen Beschluss wurde der Antrag der Kindesmutter, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die beiden Kinder zur alleinigen Ausübung zu übertragen, zurückgewiesen. Es gäbe keinen Veränderungsbedarf, vielmehr sei es Aufgabe und Verantwortung der Eltern, ihre Kommunikation zu verbessern und zu stärken. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses genommen.
Hiergegen wendet sich die Kindesmutter mit ihrer Beschwerde, die sie im Wesentlichen darauf stützt, dass die sich immer wiederholenden Versuche des Kindesvaters, den Lebensmittelpunkt der Kinder bei der Kindesmutter in Frage zu stellen, eine Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht erforderlich mache. Der Kindesvater begehrt nunmehr im Wege der Anschlussbeschwerde die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge.
Durch Beschluss vom 17.4.2013 wurde das vorliegende Sorgerechtsverfahren der Einzelrichterin gem. § 68 Abs. 4 FamFG zur Entscheidung übertragen. Die Einzelrichterin hat die Beteiligten, die beteiligten Kinder gesondert, mündlich angehört.
II. Die gem. §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Kindesmutter hat auch in der Sache Erfolg, hingegen ist die zulässige Anschlussbeschwerde des Kindesvaters unbegründet.
Entgegen der Auffassung des Familiengerichts ist die gemeinsame elterliche Sorge bezüglich des Teilbereichs Aufenthaltsbestimmung für die beiden Kinder M und E aufzuheben und zur alleinigen Ausübung auf die Kindesmutter zu übertragen.
Für die Tochter M, für die ein gemeinsames Sorgerecht aufgrund einer Sorgeerklärung gem. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB besteht, beruht diese Entscheidung auf § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB. Bezüglich E, für den die Kindeseltern die gemeinsame elterliche Sorge aufgrund des Beschlusses des Familiengerichts vom 1.2.2011 (73 F 1/10 SO) innehaben, folgt dies aus § 1696 Abs. 1 S. 1 BGB. Diese Entscheidung beruhte auf der Entscheidung des BVerfG vom 21.7.2010 (BVerfG NJW 2010, 3008) und der von diesem in seiner Übergangsregelung geforderten Feststellung, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswoh...