Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten bei Steueransprüchen im Insolvenzverfahren

 

Normenkette

AO § 37; GVG §§ 13, 17a; InsO § 129

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 08.11.2022; Aktenzeichen 2-7 O 28/22)

 

Tenor

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 15.11.2022 wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 08.11.2022 (2-07 O 28/22) aufgehoben und der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig erklärt.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über den zulässigen Rechtsweg. Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer natürlichen Person.

Zwischen 2012 und 2019 entstanden Forderungen des beklagten Landes gegen den Schuldner auf Zahlung von Einkommensteuer, die dieser nicht vollständig bezahlte. Am 17.04.2019 beantragte das beklagte Land daher die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit. Nach diesem Antrag zeigte der Schuldner am 17.05.2019 beim beklagten Land auf einem Formblatt nach § 46 Abs. 2 AO die Abtretung eines Steueranspruchs eines Dritten gegen das beklagte Land an und kreuzte auf demselben Formblatt an, dass er diesen Steueranspruch mit seiner eigenen Steuerverbindlichkeit "verrechne" (Bl. 33 d. A.). Der Kläger will das beklagte Land aus §§ 143 Abs. 1, 129 Abs. 1, 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO auf Rückgewähr des durch die Aufrechnung erhaltenen Betrags in Anspruch nehmen (Seite 6 der Anspruchsbegründung; Bl. 22. d. A.).

Der Kläger sieht in der Erklärung des Schuldners vom 17.05.2019 eine Aufrechnungserklärung nach § 226 Abs. 1 AO, § 388 BGB. Diese Aufrechnung habe dem beklagten Land eine Befriedigung gewährt, die dieses nach dem von ihm gestellten Eröffnungsantrag nicht mehr zu beanspruchen hatte. Die Aufrechnung habe die Insolvenzgläubiger benachteiligt. Der Streit hierüber gehöre zur ordentlichen Gerichtsbarkeit.

Das beklagte Land sieht die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit als unzuständig an. Zulässig sei stattdessen nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO der Rechtsweg zu den Finanzgerichten. Der Kläger habe in der Anspruchsbegründung einen Antrag auf Zahlung gestellt und verfolge aufgrund des Abtretungsvertrags gegen das beklagte Land den früheren Steueranspruch des Dritten. Hierfür sei inzident zu prüfen, ob dieser Steueranspruch durch Aufrechnung untergegangen sei. Diese Aufrechnung sei zwar möglicherweise nur durch eine anfechtbare Rechtshandlung ermöglicht worden, was nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO eine insolvenzrechtliche Prüfung erfordere, dies sei aber nicht rechtswegbestimmend. Die Verfolgung eines Steueranspruchs gegen das beklagte Land gehöre grundsätzlich vor die Finanzgerichte. Das beklagte Land rügt in der Anspruchserwiderung nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs.

Das Landgericht hat einen Hinweis erteilt, den beschrittenen Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig zu erklären und den Rechtsstreit zum Hessischen Finanzgericht in Kassel verweisen zu wollen. Mit Beschluss vom 08.11.2022 hat das Landgericht - Einzelrichter - den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Finanzgericht Kassel verwiesen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Kläger von dem beklagten Land die Zahlung der Vorsteuer verlange und damit einen Steueranspruch verfolge. Es erachtet die Aufrechnungssperre des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO für einschlägig, da es das Formblatt so versteht, dass nicht der Schuldner, sondern das beklagte Land die "Aufrechnung/Verrechnung" vorgenommen habe. Die dadurch veranlasste insolvenzanfechtungsrechtliche Prüfung sei jedoch unter Verweis auf die Entscheidung des BGH vom 21.09.2006 - IX ZR 89/05 nicht rechtswegbestimmend.

Gegen den Beschluss des Landgerichts vom 08.11.2022 hat der Kläger am 15.11.2022 sofortige Beschwerde erhoben. Er beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig zu erklären.

Das beklagte Land tritt dem entgegen und verteidigt die Entscheidung des Landgerichts.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Entscheidung vom 12.12.2022 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 17a Abs. 4 Satz 2 GVG, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und zulässig, insbesondere innerhalb der zweiwöchigen Notfrist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. Pabst, in: MüKoZPO, 6. Aufl. 2022, § 17a GVG Rn. 31) eingelegt worden.

Die sofortige Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Der beschrittene Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist für zulässig zu erklären.

1. Vor die ordentlichen Gerichte gehören u.a. die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (§ 13 GVG). Der Finanzrechtsweg hingegen ist u.a. in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten gegeben (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO).

Die Abgrenzung besti...

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