Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Voraussetzungen anleger- und objektgerechter Beratung beim Erwerb von Lehman-Zertifikaten
Leitsatz (amtlich)
Eine Aufklärungspflicht hinsichtlich der Möglichkeit eines Totalverlustrisikos im Falle einer Emittenteninsolvenz wird von der Rechtsprechung nicht generell, sondern nur dann angenommen, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Insolvenz der Emittentin vorliegen. Im Februar 2007 war das Bonitätsrisiko der Investmentbank Lehman Brothers fernliegend und nur von theoretischer Natur.
Normenkette
BGB §§ 242, 280 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Urteil vom 06.10.2010; Aktenzeichen 1 O 291/08) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 6.10.2010 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Wiesbaden wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin klagt aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes X auf Schadensersatz wegen Verletzung eines Anlageberatungsvertrages durch die Beklagte. Der Zedent, der lange Zeit als Mitarbeiter der Y-AG in der ... Filiale der Beklagten im Team Corporate Banking arbeitete und heute Leiter der Geschäftsstelle der Z-GmbH in Stadt01 ist, erwarb Anfang 2007 auf Grund eines telefonischen Anlageberatungsgesprächs mit einer Mitarbeiterin der Beklagten, der Zeugin Z1, 10 Lehman-Zertifikate zu insgesamt 10.000 EUR. Die Zertifikate sahen eine Verzinsung i.H.v. bis zu 8,75 % (Bonuszahlung) vor, wenn nicht einer der in Bezug genommenen drei Aktienindizes um 40 % oder mehr fällt.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beraterin der Beklagten habe den Zedenten fehlerhaft beraten. Sie habe ihm entgegen seiner erklärten Absicht, nur eine sichere Anlage zeichnen zu wollen, zu dieser spekulativen Anlage geraten. Ihm sei die Funktionsweise der Zertifikate nicht erklärt worden; über die Risiken der Anlage sei er nur unzureichend aufgeklärt worden, insbesondere nicht über die Möglichkeit eines Totalverlustrisikos im Falle der Insolvenz der Emittentin. Überdies habe die Beraterin den Zedenten - dies ist unstreitig - auch nicht auf die 3,5%ige Provision im Falle der Vermittlung der Anlage hingewiesen.
Auch seien dem Zedenten keine schriftlichen Unterlagen über die Zertifikate angeboten worden.
Eine die Schadensersatzforderung begründende Pflichtverletzung der Beklagten liege auch darin begründet, dass eine weitere Mitarbeiterin der Beklagten, die Zeugin Z2, dem Zedenten bei einem Gespräch am 29.7.2008 geraten habe, die Zertifikate zu halten und nicht zu verkaufen, obgleich die Insolvenz der Emittentin zu diesem Zeitpunkt bereits erkennbar gewesen sei.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Rückzahlung des Anlagebetrages von 10.000 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Zertifikate sowie desweiteren vorgerichtliche Kosten i.H.v. 1.064,81 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen.
Die Beklagte hat geltend gemacht, der Zedent habe bereits vor dem Telefonat seine hohe Risikobereitschaft erklärt und habe hiervon auch während des Telefonats nicht Abstand genommen. Über Chancen, Risiken und Funktionsweise der Zertifikate sei der Zedent durch die Mitarbeiterin der Beklagten detailliert aufgeklärt worden. Deren Angebot auf Zusendung schriftlicher Verkaufsunterlagen habe der Zedent abgelehnt. Eine Hinweispflicht hinsichtlich ihrer Gewinnmarge bei Abschluss des als Festpreisgeschäft abgewickelten Verkaufs der Zertifikate habe nicht bestanden. Anlässlich des Gesprächs vom 29.7.2008 sei über die Möglichkeit des Verkaufs der Zertifikate nicht gesprochen worden.
Das LG hat nach Beweiserhebung (Vernehmung u.a. der Zeugen Z3 - Zedent - sowie der Zeuginnen Z1 und Z2) mit seinem am 6.10.2010 verkündeten Urteil die Klage abgewiesen. Unter Annahme eines zustande gekommenen Beratungsvertrages hat das LG unter Würdigung des Beweisergebnisses eine Verletzung von Beratungs- und Aufklärungspflichten verneint. Dabei stützt sich das LG im Rahmen seiner Beweiswürdigung auf die glaubhafte Aussage der Zeugin Z1, derzufolge der Zedent detailliert über Funktionsweise und Risiken der Anlage aufgeklärt worden sei. Aus der Aussage des Zeugen Z3 ergäben sich keine abweichenden Angaben. Die Beweisaufnahme habe auch nicht ergeben, dass der Zedent deutlich gemacht habe, im Hinblick auf die Ablösung eines Immobilienkredites nur eine sichere Anlage tätigen zu wollen. Hinsichtlich des nicht erfolgten Hinweises auf ein im Falle der Emittenteninsolvenz bestehendes Totalverlustrisiko liege eine Pflichtverletzung nicht vor, da eine Aufklärungspflicht wegen des zum Zeichnungszeitpunkt nur theoretischen Risikos nicht bestanden habe. Auch hinsichtlich des Vermittlungsgewinns der Beklagten habe eine Aufklärungspflicht nicht bestanden, wobei dahinstehen könne, ob es sich dabei um eine Vertriebsprovision oder um eine Gewinnmarge handele. Im Übrigen habe die Klägerin nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass der fehlende Hinweis auf die branchenübliche Provision...