Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Notwendigkeit der Aufforderung zur Ausübung eines Wahlrechts bezüglich Sicherungsmittel

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 12.08.2022; Aktenzeichen 2-31 O 92/20)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12.08.2021 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu zahlen

a) 162.747,73 EUR zuzüglich Zinsen hieraus i. H. v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 12.05.2018,

b) weitere 10.204,88 EUR Zug um Zug gegen dem beiliegenden Muster Formblatt 2 zu den ZVB-B der Beklagten, Stand 1.3.2017 (Bl. 231 f. d. A.), entsprechende Gewährleistungsbürgschaften in Höhe von 3.997,05 EUR und 6.207,83 EUR,

c) außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.415,90 EUR.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger zu 8 %, die Beklagte zu 92 % zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das vorliegende Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Gründe

A. Die Insolvenzschuldnerin X GmbH erbrachte für die Beklagte auf der Grundlage vieler Verträge umfangreiche Metallbauleistungen i. w. S. Der klagende Insolvenzverwalter nimmt die Beklagte auf der Grundlage zweier Auftragsschreiben vom August 2017 auf restlichen Werklohn in Höhe von 182.464,43 EUR in Anspruch. Die Beklagte verteidigt sich im Wesentlichen mit einer Aufrechnung; sie hatte nach einem Eigenantrag der Insolvenzschuldnerin und dem Scheitern von Fortführungsverhandlungen die Verträge mit jener eben wegen des Eigenantrags gekündigt und berühmt sich wegen eines dieser anderen Verträge eines Anspruchs auf Erstattung von Fertigstellungsmehrkosten in Höhe von 383.103,55 EUR, der Aufrechnungsforderung.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes einschließlich der gestellten Anträge nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat der Klage in Höhe von 172.952,61 EUR zuzüglich Nebenforderungen stattgegeben. Es hat verschiedene Abzüge von der Klageforderung wegen nicht erbrachter Teilleistungen vorgenommen, nicht aber für einen Gewährleistungseinbehalt, habe doch die Insolvenzschuldnerin hinsichtlich der Art der Sicherheit ein Wahlrecht gehabt, zu dessen Ausübung die Beklagte sie nicht aufgefordert habe. Die Aufrechnung hat das Landgericht als nach §§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO unzulässig angesehen. Die Beklagte habe durch ihre auf den Eigenantrag gestützte Sonderkündigung die Aufrechnungslage in anfechtbarer Art und Weise herbeigeführt. Die Kündigung sei als Rechtshandlung i. S. d. § 129 InsO zu qualifizieren und habe mit der Differenz zwischen dem Nennwert und dem quotierten Wert der Gegenforderung zu einer Gläubigerbenachteiligung geführt. Auch die sonstigen Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO seien erfüllt. Aus der Wirksamkeit der Kündigungsklausel des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 VOB/B und der darauf gestützten Kündigung folge nicht, dass die Herbeiführung der Aufrechnungslage insolvenzrechtlich unbedenklich sei.

Die Beklagte rügt mit ihrer Berufung, das Landgericht habe den Gewährleistungseinbehalt zu Unrecht nicht berücksichtigt. Die Aufrechnung sei nach der berechtigten, wirksamen Sonderkündigung der Beklagten insolvenzrechtlich nicht anfechtbar gewesen. Die Vereinbarung des Sonderkündigungsrechts und dessen Ausübung lägen außerhalb der Krise, sodass eine Anfechtung ausscheide. Entscheidend seien der Ausspruch der Kündigung und die Entstehung, Fälligkeit des Mehrkostenersatzanspruchs vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, deshalb fehle es an einer objektiven Gläubigerbenachteiligung.

Die Beklagte beantragt,

das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das landgerichtliche Urteil.

B. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nur in geringfügigem Umfang begründet. Das Landgericht hat zu Unrecht den Gewährleistungseinbehalt nicht abgezogen, hieran anknüpfend die Nebenforderungen geringfügig zu hoch zugesprochen. Ansonsten entspricht das angefochtene Urteil der Sach- und Rechtslage, insbesondere hinsichtlich der insolvenzrechtlichen Unzulässigkeit der Aufrechnung mit dem Anspruch auf Erstattung von Mehrkosten aus einem anderen Vertragsverhältnis. Im Einzelnen:

I. In der Berufungsinstanz ist außer Streit, dass der Kläger aus den beiden zur Klagegrundlage erhobenen Bauverträgen noch Werklohn in Höhe von 172.952,61 EUR beanspruche...

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