Leitsatz (amtlich)
1. Der Einwand der missbräuchlichen Mehrfachverfolgung greift gegenüber Ansprüchen wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts am eigenen Bild (§ 22 KUG) grundsätzlich nicht ein.
2. Das Persönlichkeitsrecht eines Straftäters genießt mehr als 15 Jahre nach der Tat auch dann Vorrang vor dem öffentlichen Informationsinteresse und der Pressefreiheit, wenn es sich bei der Straftat um einen aufsehenerregenden Mord an einem bekannten Schauspieler gehandelt hat.
3. Eine identifizierende Bildberichterstattung über seine bevorstehende Haftentlassung ist deshalb in aller Regel unzulässig.
Normenkette
BGB §§ 823, 1004; KUG § 22
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2-3 O 320/06) |
Gründe
I. Der Verfügungskläger (künftig: Kläger) wurde ... wegen Mordes an dem Schauspieler ... zu lebenslanger Haft verurteilt. Er verbüßt derzeit seine Haftstrafe in der JVA O1.
Der Verfügungsbeklagte (nachfolgend: Beklagte) ist Chefredakteur des A. Der A berichtete in seiner Ausgabe vom 11.5.2006 über eine mögliche vorzeitige Haftentlassung des Klägers mit einer nicht anonymisierten Portraitaufnahme und unter voller Namensnennung des Klägers (Bl. 8 d.A.).
Mit Beschlussverfügung vom 23.5.2006 hat das LG auf Antrag des Klägers dem B, der den A verlegt, die vorgenannte Bildberichterstattung untersagt.
Mit Schriftsatz vom 23.5.2006 hat der Kläger den Erlass einer gleichlautenden Unterlassungsverfügung gegen den Beklagten beantragt, die das LG zunächst mit Beschluss vom 26.5.2006 erlassen, aber auf den Widerspruch des Beklagten mit dem angefochtenen Urteil vom 5.10.2006 unter Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wieder aufgehoben hat.
Zur Begründung hat das LG ausgeführt, dem Kläger stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu, weil die sukzessive Mehrfachverfolgung gleichgerichteter Unterlassungsansprüche gegen Verlag und Chefredakteur rechtsmissbräuchlich mit der Folge sei, dass im vorliegenden Verfahren der Missbrauchseinwand durchgreife.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, zu deren Begründung er vorträgt:
Das Urteil verkenne, dass der Verlag, bei dem der Beklagte als Chefredakteur angestellt sei, eine Vielzahl von Veröffentlichungen vorgelegt habe, aus denen eine kampagnenhafte Ausrichtung der Berichterstattung objektiv hervorgehe. Er, der Kläger, müsse annehmen, dass seine Identifizierung im A einem gezielten redaktionellen Willen entspreche, für den der Beklagte als Chefredakteur verantwortlich zeichne. Die (zusätzliche) Inanspruchnahme des Beklagten, der Störer sei, beruhe daher auf sachlichen Erwägungen. Es stehe ihm, dem Kläger frei, welche und wie viele Unterlassungsschuldner er in Anspruch nehme. Regelungen aus dem Bereich des Rechts des unlauteren Wettbewerbs (§ 8 Abs. 4 UWG) könnten nicht ohne Weiteres auf den Schutz des Persönlichkeitsrechts übertragen werden.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des LG Frankfurt/M. vom 5.10.2006 (Az.: 2-03 O 320/06 wird aufgehoben;
2. dem Verfügungsbeklagten und Berufungsbeklagten wird bei Vermeidung eines in jedem Falle der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zum Betrag von 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, untersagt,
a) Bildnisse des Verfügungsklägers und Berufungsklägers (wie aus Anlage AS 1 ersichtlich) ohne dessen Zustimmung in der von dem Verfügungsbeklagten und Berufungsbeklagten als Chefredakteur verantworteten Zeitung A im Zusammenhang mit dem Mord an ... zu veröffentlichen;
b) über der den Verfügungskläger und Berufungskläger im Zusammenhang mit dem Mord an ... in identifizierender Weise, insbesondere bei voller Namensnennung, zu berichten, wie aus Anlage AS 1 ersichtlich.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, von einer kampagnenhaften Berichterstattung über den Kläger im A könne keine Rede sein. Der Kläger habe in der Vergangenheit nicht nur identifizierende Berichterstattung über seine Person hingenommen, sondern sogar die Öffentlichkeit von sich aus gesucht.
Ein Grund für seine zusätzliche Inanspruchnahme als Chefredakteur des A bestehe nicht. Die Position eines Chefredakteurs sei nicht mit der Position eines Geschäftsführers oder Vorstands einer AG vergleichbar. Der Chefredakteur vertrete nicht den Verlag und kenne und billige auch nicht jeden einzelnen Artikel. Er könne den einzelnen Redakteuren keine Weisungen erteilen, soweit diese im Rahmen ihrer eigenständigen Berichterstattung die Tendenz des Verlages nicht verlassen. Konkret sei er, der Beklagte, mit der streitgegenständlichen Berichterstattung nicht befasst.
Es liege ein unheilbarer Zustellungsmangel vor, weil die einstweilige Verfügung des LG Frankfurt vom 26.5.2006 ohne die Anlage AS 1 zugestellt worden sei, auf die der Verfügungsbeschluss ausdrücklich verweise.
II. Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
Dem Erlass der einstweiligen Verfügung steht nicht entgegen, dass die Beschlussverfügung vom 23.5.2006 möglicherweise nicht wirksam zugestellt worden ist.
Es ka...