Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährung von Herausgabeansprüchen wegen verfolgungsbedingten Entzugs eines Gemäldes während der NS-Diktarur

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch Herausgabeansprüche wegen verfolgungsbedingten Entzugs von Kunstwerken während der NS-Diktatur unterliegen der regelmäßigen dreißigjährigen Verjährung.

2. Ein Ausschluss solcher Ansprüche aus dem Anwendungsbereich der Verjährungsvorschriften würde die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten, nachdem der Gesetzgeber sich für die dreißigjährige Verjährung von Herausgabeansprüchen aus beweglichem Eigentum entschieden hat.

3. Die Erhebung der Einrede der Verjährung verstößt nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn der Eintritt der Verjährung auf bloß passivem Verhalten des in Anspruch genommenen Besitzers beruht.

 

Normenkette

BGB §§ 195, 242, 935, 985, 1007

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 02.11.2016; Aktenzeichen 2-21 O 251/15)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 2. November 2016 verkündete Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 24. November 2016 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung aus beiden Urteilen durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger ist Enkel des bedeutenden jüdischen Kunstsammlers A, der im Jahr 1942 deportiert und schließlich im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurde. Der Kläger verlangt von der Beklagten die Herausgabe eines Ölgemäldes mit der Bezeichnung "Goldregen, Calla und Iris".

Dieses Ölgemälde schuf der Maler Hermann Max Pechstein im Jahr 1918. Im Jahr 1919 erwarb der seinerzeitige Leiter der Nationalgalerie Berlin Ludwig Justi das Ölgemälde vom Künstler Pechstein für die Nationalgalerie. Dieses Ölgemälde tauschte Ludwig Justi im Jahr 1925 wieder beim Künstler Pechstein gegen ein oder zwei andere Gemälde. Der Verbleib des Ölgemäldes in der Folgezeit ist zwischen den Parteien streitig. Am 20. März 1928 stellte der Großvater des Klägers der Nationalgalerie u.a. zwei Gemälde von Pechstein für die "Ausstellung neuerer deutscher Kunst aus Berliner Privatbesitz" leihweise zur Verfügung. Die beiden Gemälde wurden jedoch schon am 4. April 1928 wieder an den Großvater des Klägers zurückgegeben. Ob der Großvater des Klägers das Gemälde "Goldregen, Calla und Iris" zwischenzeitlich erworben hatte und dieses dann in der Ausstellung aufgrund einer Leihgabe des Großvaters des Klägers gezeigt wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Um 1941/42 oder davor gelangte das Ölgemälde in den Besitz des Arztes B, dem Schwiegervater der Beklagten. B war mit einer Jüdin verheiratet, deren Mutter im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet wurde. Im Jahr 1967 schenkte der Schwiegervater der Beklagten das Ölgemälde seinem Sohn, als dieser und die Beklagte eine größere Wohnung bezogen. Der Ehemann der Beklagten verstarb im Jahr 201X und wurde von der Beklagten allein beerbt.

Mit der Behauptung, er sei Rechtsnachfolger seines Großvaters im Eigentum an dem Ölgemälde "Goldregen, Calla und Iris", verlangt der Kläger von der Beklagten die Herausgabe. Hierzu hat der Kläger vorgetragen, sein Großvater habe das Ölgemälde im Jahr 1925 vom Künstler erworben. Noch im Dezember 1938 sei das Ölgemälde im Besitz seines Großvaters gewesen. Diesem sei es dann zwischen 1938 und 1941/42 verfolgungsbedingt entzogen worden.

Die Beklagte hat vorgetragen, ausweislich eines Briefwechsels zwischen ihrem Ehemann und dem Sohn Max Pechstein des Künstlers aus dem Jahr 1989 sei ihr Ehemann davon ausgegangen, dass sein Vater das Ölgemälde vor 1941 direkt vom Künstler erworben habe. Mehr sei ihr zu dem Erwerb nicht bekannt. Bei dem vom Kläger aus der Sammlung seines Großvaters vermissten Werk handele es sich tatsächlich um ein weiteres, ähnliches Blumenstillleben des Künstlers mit der Bezeichnung "Schwertlilien (Calla und Iris)", aufgeführt im Werkeverzeichnis unter 1918/7. Insofern liege seitens des Klägers eine Verwechslung mit dem streitgegenständlichen Ölgemälde vor. Vorsorglich hat sie die Einrede der Verjährung erhoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und der erstinstanzlich von den Parteien gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf das am 2. November 2016 verkündete Urteil des Landgerichts Bezug genommen.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen der Einzelheiten der Begründung verwiesen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seine Klage weiterverfolgt. Er rügt, das Landgericht habe die Erlangung des Besitzes der Beklagten n...

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