Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwirkung des Widerspruchsrechts einer Lebensversicherung durch langjährige Laufzeitverlängerung
Leitsatz (amtlich)
Die langjährige, im ursprünglichen Vertrag nicht vorgesehene Verlängerung des Vertrags begründet schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers in den Bestand einer Lebensversicherung und steht einem Widerspruch nach § 5a VVG a.F. entgegen.
Normenkette
VVG § 5a
Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 25.01.2021; Aktenzeichen 2 O 221/20) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 25.01.2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Gießen (2 O 221/20) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckbaren Betrages leistet.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die 1973 geborene Klägerin begehrt die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung dreier mit der Beklagten (unter der damaligen Fa. X AG) im Policenmodell geschlossener fondsgebundener Lebensversicherungsverträge auf den Erlebens- und Todesfall mit BUZ, nämlich:
1. ... (früher ...),
2. ... (früher ...),
3. ... (früher ...)
(nachfolgend: Versicherungen Nr. 1-3), nach erklärtem Widerspruch nach § 5a VVG a.F. und begehrt darauf gestützt die Zahlung von 67.446,74 EUR.
Mit den Policenbegleitschreiben wurden neben der Police jeweils die AVB und die Verbraucherinformationen übersandt. Die Policenbegleitschreiben bzw. Policen enthalten in allen Versicherungen übereinstimmend folgende Widerspruchsbelehrung:
((Abbildung))
Die Hauptversicherung der Versicherung Nr. 1 sollte am 01.11.2048 ablaufen und die Beitragspflicht am 01.11.2038 enden. Die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (im Weiteren: BUZ) sollte am 01.11.2038 ablaufen. Die Versicherungen Nr. 2 und 3 sollten jeweils am 01.08.2048 ablaufen und die jeweilige Beitragspflicht am 01.08.2038 enden.
§ 7 Abs. 1 AVB regelt übereinstimmend bei allen Verträgen ein jederzeitiges Kündigungsrecht zum Schluss der Versicherungsperiode. § 7 Abs. 5 AVB sieht das Recht vor, anstelle einer Kündigung zu verlangen, dass der Vertrag ganz oder teilweise beitragsfrei gestellt werden soll.
§ 8 Abs. 1 AVB sieht vor, dass der Versicherungsnehmer einen Monat vor dem für den Ablauf der Versicherung vorgesehenen Termin schriftlich verlangen kann, dass die Versicherung einmalig und ohne Gesundheitsprüfung für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren verlängert wird, sofern die versicherte Person den Ablauftermin erlebt. § 8 Abs. 2 AVB sieht vor, dass bei Verlängerung aus dem Deckungskapital der bisherigen Versicherung eine neue Versicherung gebildet wird, für die der Versicherungsnehmer keine Beiträge mehr zahlt. Ferner sahen die AVB ein Recht der Klägerin vor, der vereinbarten Beitragsdynamik zu widersprechen. § 5 Abs. 3 der "Besonderen Bedingungen für die fondsgebundene Lebensversicherung mit planmäßiger Erhöhung der Beiträge und Leistungen ohne erneute Gesundheitsprüfungen" bestimmt, dass das Recht auf weitere Erhöhungen erlischt, wenn der Versicherungsnehmer mehr als zweimal hintereinander von der Erhöhungsmöglichkeit keinen Gebrauch macht.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Versicherungsverträge, die diesen zugrundeliegenden Bedingungen sowie die Policenbegleitschreiben Bezug genommen.
Die Klägerin widersprach der vereinbarten Beitragsdynamik zunächst jeweils in den Jahren 2000, 2003 und 2004. Mit Schreiben vom 10.10.2004 bat die Klägerin die Beklagte, zu ihren Versicherungen "die Vertragslaufzeit auf Endalter 100" zu verlängern (Anlage BB2, Bl. 561R d.A.). Die Klägerin widersprach der vereinbarten Beitragsdynamik auch jeweils in den Jahren 2006, 2007, 2009, 2010, 2012, 2013 und 2015. Mit Schreiben vom 11.12.2017 (Anlage B8, Bl. 219 d.A.) erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten, dass sie ihre drei Lebensversicherungen rückwirkend zum 01.12.2017 beitragsfrei stellen wolle und das SEPA-Mandat widerrufe. Mit drei gleichlautenden Schreiben vom 28.12.2017 bestätigte die Beklagte der Klägerin die Beitragsfreistellung jeweils zum 01.12.2017 und rechnete die mit dem Antrag auf Beitragsfreistellung beendete BUZ ab (Anlagen B1-B3, Bl. 197-199 d.A.).
Am 28.12.2017 erteilte die Beklagte neue Policen über die nunmehr beitragsfreie Versicherung mit dem Ablaufdatum 01.11.2073 bzw. 01.08.2073 (Anlagen B5-B7, Bl. 210, 213, 216 d.A.). Am Ende der dreiseitigen Policen finden sich jeweils als einzige in Fettdruck und Kursivschrift unter der auch in der Schriftgröße hervorgehobenen und unterstrichenen Überschrift "Wichtige Hinweise" Belehrungen über das Widerrufsrecht. Hinsichtlich des Beginns der Widerrufsfrist lauten diese übereinstimmend: "Die Frist beginnt, nachdem Sie den Versicherungsschein, die Vertr...