Leitsatz (amtlich)
Die Bestimmungen über eine Entschädigung nach den §§ 198 ff. GVG finden nach Art. 23 S. 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren (BGBl. I 2011, 2302) keine Anwendung auf ein zivilrechtliches Verfahren, das bei In-Kraft-Treten des Gesetzes am 3.12.2011 länger als sechs Monate abgeschlossen war, denn die Frist des Art. 35 Abs. 1 EMRK beginnt bei zivilrechtlichen Verfahren, für die eine überlange Verfahrendauer geltend gemacht wird, mit dem Abschluss des ordentlichen Rechtszuges. Auf den Abschluss eines sich daran anschließenden Verfahrens vor dem BVerfG kommt es auch dann nicht an, wenn mit der Verfassungsbeschwerde neben der überlangen Verfahrensdauer auch die Verletzung materieller Grundrechte gerügt wird.
Normenkette
GVG §§ 198, § 198 ff.; ÜberlVfRSchG Art. 23 S. 1; MRK Art. 35 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 3-03 O 11/89) |
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Kläger nehmen das beklagte Land (Beklagter) wegen eines von ihnen als Erben ihrer Mutter A als (Mit)Antragsteller fortgeführten aktienrechtlichen Spruchstellenverfahrens vor dem LG Frankfurt (Kammer für Handelssachen) auf eine Entschädigung für materielle und immaterielle Nachteile aufgrund unangemessener Verfahrensdauer i.H.v. jeweils für jeden Kläger 25.842 EUR in Anspruch.
Gegenstand jenes Verfahrens, welches den Regelungen des damaligen FGG unterlag, war ein Antrag von insgesamt 35 außenstehenden Aktionären der B AG nach den §§ 304 ff. AktG gegen die B AG und die C AG, mit dem sie die Erhöhung eines in einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen der C AG und der B AG vorgesehenen (Dividenden-) Ausgleichs je Aktie (§ 304 AktG) und die Erhöhung der Abfindung der B-Aktionäre durch C-Aktien (Umrechnungsschlüssel je gleichem Nennwert) nach § 305 AktG verlangten. Die Kläger waren als Erbengemeinschaft Inhaber von 55 Aktien der B AG zum Nennbetrag von 50 EUR je Aktie zu einem Verkehrswert im Jahr 1988 von rund 6.800 EUR.
Das aktienrechtliche Spruchstellenverfahren erstreckte sich in erster Instanz vom Eingang der Anträge der Rechtsvorgängerin der Kläger am 22.8.1988 bis zur Endscheidung am 24.9.2007 über eine Dauer von rund 19 Jahren. Im Einzelnen sind folgende Verfahrensabschnitte von Bedeutung:
Nach der Zusammenfassung der bislang eingegangenen Anträge und der vorgeschriebenen Veröffentlichung der Anträge im Bundesanzeiger (§ 306 Abs. 3 AktG) kam es zu einem Zuständigkeitsstreit mit dem LG Berlin, weil die B AG dort gleichfalls einen Sitz hatte. Dieser Streit wurde endgültig durch Beschlüsse des KG vom 20.12.1988 und vom 18.4.1989 (K 4 und K 5) dahin entschieden, dass das LG Frankfurt zuständig sei.
Wegen einer nachträglichen Änderung des Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrages im Jahr 1991 stellten die Kläger den Antrag ein gesondertes Spruchverfahren einzuleiten, was das LG mit Beschluss vom 23.9.1992 ablehnte. Über die dagegen gerichtete Beschwerde einer anderen Antragstellerin entschied das OLG erst rund 12 Jahre später durch Beschluss vom 5.7.2007 (Anlage K 9). Das LG führte in dieser Zeit jedoch mittels Duploakten das Verfahren fort.
Aufgrund eines gleichfalls am 23.9.1992 ergangenen Beweisbeschlusses wurde in den folgenden 7 Jahren bis zum Jahr 2000 Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Angemessenheit des Ausgleichs- und des Abfindungsanspruchs (Gutachten, Ergänzungsgutachten, Stellungnahmen) erhoben.
Durch Beschluss des LG vom 17.1.2000 (Beiakte Bd. VII Bl. 1565d) wurde der bisher tätige Sachverständige "darauf hingewiesen", dass aufgrund einer Entscheidung des BVerfG vom 27.4.1999 entgegen der früheren Beweisanordnung, die Prüfung der Angemessenheit nicht auf der Grundlage des Ertragswerts (der beteiligten Unternehmen), sondern nach dem Börsenkurs der Aktien erfolgen solle. Eine Beauftragung erfolgte zunächst nicht. Stattdessen erhielten die Beteiligten in der Folgezeit Gelegenheit zur Stellungnahme dazu. Der Sachverständige wurde erst drei Jahre später am 5.2.2003 mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt, obwohl der angeforderte Vorschuss von 2 × 50.000 DM am 10.4.2000 und 9.5.2000 an die Gerichtskasse überwiesen worden war (Beiakte Bd. VII Bl. 1565ag). Ein Grund für die Verzögerung lag darin, dass Aktenbestandteile teilweise nicht mehr aufgefunden werden konnten und rekonstruiert werden mussten.
Der Sachverständige legte das weitere Gutachten am 5.7.2004 vor. Das LG setzte daraufhin den Beteiligten eine Frist zur Stellungnahme bis zum 27.10.2004. Die letzte Stellungnahme eines Beteiligten nach Fristverlängerung ging am 1.3.2005 ein. Rund 1 ½ Jahre später, am 18.10.2006, gab das LG weitere rechtliche Hinweise (Anlage K 16), die sich nur zum Teil auf das Gutachten bezogen. Es gab Gelegenheit zur Stellungnahme bis zu...