Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Arbeitgebers. Arbeitgeberhaftung. Arbeitssicherheit. Arbeitsunfall. Berufsgenossenschaft. grobe Fahrlässigkeit. Unfallverhütungsvorschriften BGV C 22

 

Leitsatz (amtlich)

Der Arbeitgeber - ein Dachdeckerbetrieb - haftet wegen grober Fahrlässigkeit bei einem Arbeitsunfall, wenn die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaft für Arbeiten auf Dächern - BGV C 22 - missachtet werden.

 

Normenkette

SGB VII §§ 104, 110 Abs. 1, § 111 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Limburg a.d. Lahn (Entscheidung vom 12.07.2010; Aktenzeichen 1 O 450/09)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12. Juli 2010 verkündete Grund- und Teilurteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Limburg an der Lahn (1 O 450/09) abgeändert:

Die Klage ist hinsichtlich des Zahlungsantrags dem Grunde nach zu einer Haftungsquote von 50 % gerechtfertigt.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner dazu verpflichtet sind, der Klägerin die weiteren aus dem Arbeitsunfall des Versicherten A vom ... 2006 entstandenen und noch entstehenden Aufwendungen bis zur Höhe eines ein hälftiges Mitverschulden des Versicherten berücksichtigenden zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs zu erstatten.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten einschließlich der Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Schlussurteil des Landgerichts vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die klagende Bau-Berufsgenossenschaft nimmt mit ihrer auf Zahlung und Feststellung gerichteten Klage das beklagte Dachdeckerunternehmen und dessen Geschäftsführer gesamtschuldnerisch auf Erstattung von Aufwendungen aus einem Arbeitsunfall in Anspruch.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat den Zahlungsantrag dem Grunde nach zu einer Haftungsquote von 70 % für gerechtfertigt erklärt und festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner dazu verpflichtet sind, der Klägerin auch ihre künftigen Aufwendungen aus dem streitgegenständlichen Arbeitsunfall bis zur Höhe eines - ein Mitverschulden des Versicherten von 30 % berücksichtigenden - fiktiven zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs zu erstatten.

Die Beklagten hafteten der Klägerin gemäß §§ 110 Abs. 1, 111 Satz 1 SGB VII für ihre Aufwendungen aus dem Arbeitsunfall des inzwischen verstorbenen Versicherten A, da sie diesen Arbeitsunfall grob fahrlässig herbeigeführt hätten.

Sie hätten es versäumt, Vorkehrungen gegen die Gefahr zu treffen, dass der Versicherte durch das unbegehbare Hallendach brechen und auf den sieben Meter tiefer liegenden harten Boden stürzen könnte. Die dem Versicherten erteilte Anweisung, die Dachfläche nur auf Laufbohlen zu betreten, habe nicht genügt. Die Arbeitnehmer hätten sich mit den zur Verfügung gestellten 20 cm breiten und drei Meter langen Schalbrettern zu den etwa zwanzig auf dem 100 x 35 m großen Dach verteilten undichten Stellen vorarbeiten müssen; bei den mehrstündigen Arbeiten hätten die Arbeitnehmer schon wegen einer momentanen Konzentrationsschwäche eine Laufbohle verfehlen und durch das Dach stürzen können. Dieser Gefahr wäre nur durch Absturzsicherungen oder Auffangeinrichtungen zu begegnen gewesen. Für - den Arbeitnehmern mitgegebene - Sicherheitsgurte habe es auf dem Dach keine geeigneten Anschlagpunkte gegeben.

Ein im Schreiben der Beklagten vom 12. Oktober 2006 (Anlage K 1, Blatt 20 der Akten) erwähntes Anseilen eines an einen anderen Arbeitnehmer hätte beide Arbeitnehmer in Sturzgefahr gebracht. Die Planung eines Arbeitsablaufs, bei dem jeder Fehltritt von einer 20 cm breiten Laufbohle zu einem tiefen Absturz führe, könne nur als grob fahrlässig angesehen werden. Insoweit sei es auch unerheblich, dass der Versicherte die Dachfläche schon vor dem Verlegen der Laufbohlen betreten habe.

Ein höheres als das von der Klägerin in Ansatz gebrachte Mitverschulden des Versicherten von 30 % sei nicht anzunehmen, da in erster Linie der Arbeitgeber für die Sicherheit am Arbeitsplatz zu sorgen habe.

Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil vom 12. Juli 2010 Bezug genommen.

Gegen das landgerichtliche Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgen; sie rügen unrichtige Tatsachenfeststellungen und eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Landgericht.

Das Landgericht habe unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ihren Tatsachenvortrag im Schriftsatz vom 26. April 2010 (vgl. Blatt 209 der Akten) übergangen, wonach die den Arbeitnehmern mitgegebenen Schalbretter nicht einfach, sondern über- und nebeneinander verschraubt hätten verlegt werden sollen, so dass sie - bei einer Freifläche in der Mitte - eine Breite von mindestens 50 cm gehabt hätten. Die Verbindung hätte mit im Abstand von 40 cm aufzuschraubenden Kanthölzern erfolgen sollen, die zugleich als Trittleiste gedient hätten. Hätte das Landger...

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