Leitsatz (amtlich)
1. Zum Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses
2. Zur Frage, wann ein "verständiger Grund" vorliegt, der es dem Gläubiger erlaubt, eine Leistungsklage zu erheben, obwohl bereits ein Vollstreckungstitel vorliegt
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 27.09.2005; Aktenzeichen 3 O 238/05) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 27.9.2005 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des LG Darmstadt wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass von den erstinstanzlichen Verfahrenskosten jede Partei die Hälfte zu tragen hat, als diese vor dem 13.6.2005 entstanden sind; danach entstandene Verfahrenskosten hat der Beklagte allein zu tragen.
Die Kosten der Berufung hat der Beklagte zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages zzgl. 15 % hieraus abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zzgl. 15 % hieraus leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Beklagte und dessen Ehefrau nahmen bei der Klägerin im Rahmen einer Immobilienfinanzierung darlehensweise 286.000 DM (sog. Hypothekendarlehen) und 110.000 DM (sog. Vorauskredit) auf und bestellten mit notariellen Urkunden vom 17.3.1999 zur Absicherung der Klägerin zu deren Gunsten zwei Grundschulden über 228.000 DM (Objekt O1) und 168.000 DM (Objekt O2), jeweils nebst 15 % jährlicher Zinsen. Zugleich übernahmen die Eheleute in den beiden Grundschuldbestellungsurkunden jeweils die persönliche Haftung und unterwarfen sich insoweit der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes Vermögen. In den Grundschuldbestellungsurkunden wurde der Notar beauftragt, der Klägerin jeweils sofort eine vollstreckbare Ausfertigung der Urkunde zu erteilen.
Im Sommer 2001 wurde der Kredit Not leidend und die Klägerin kündigte das Darlehensvertragsverhältnis auf und bezifferte den Schuldenstand per 3.8.2001 auf 287.197,28 DM und 110.000 DM. Dem klägerischen Ersuchen, bezüglich der Darlehensforderung auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, kam der Beklagte nicht nach.
Die Klägerin hat sodann unter dem 15.12.2004 gegen den Beklagten einen Mahnbescheid über 100.000 EUR erwirkt und hat nach Widerspruchseinlegung die Durchführung des streitigen Verfahrens wegen eines Teilbetrages i.H.v. 50.000 EUR nebst Zinsen beantragt.
Der Beklagte, der um Klageabweisung nachgesucht und auch erstinstanzlich die Forderungshöhe bestritten hat, hat eingewandt, der Klägerin fehle es für die vorliegende Klage an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse, da sie im Besitz eines Vollstreckungstitels in Form der notariellen Urkunden vom 17.3.1999 sei.
Mit am 27.9.2005 verkündetem Urteil (Bl. 81 d.A.), auf dessen Inhalt verwiesen wird, hat der Einzelrichter der 3. Zivilkammer des LG Darmstadt unter Abweisung der weiter gehenden Klage den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 50.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.8.2001 bis 31.7.2002 sowie 2,5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit dem 1.8.2005 zu zahlen. Das LG hat die Klage als zulässig erachtet und insoweit ausgeführt:
Aufgrund der hier zu ergehenden Entscheidung kann die Klägerin den titulierten Betrag - nämlich die erstrangige Teilforderung der Darlehensschuld - zu vollstrecken versuchen. Es ist nicht auszuschließen, dass eine Vollstreckung insoweit auch erfolgreich sein könnte. Sodann kann die Klägerin bei der Verwertung der dinglichen Sicherheit und der Inanspruchnahme aufgrund des abstrakten Schuldanerkenntnisses zu realisierende Beträge auf die nachrangigen Teilforderungen ihres gesicherten Anspruches auf Zahlung des Kündigungssaldos des streitgegenständlichen Darlehensvertrages gem. Sicherungsabrede verrechnen.
Soweit der Beklagte die Forderungshöhe bestritten habe, sei dies, so hat das LG weiter ausgeführt, unbeachtlich. Bei einem Gesamtdarlehen von 145.498,33 EUR müsse bei einer Anfangstilgung von 12 % per annum und einem Rückstand von 5.421,36 DM zum Kündigungszeitpunkt die Darlehensforderung nach noch nicht einmal zwei Jahren "zwingend über dem ausgeurteilten Betrag liegen".
Gegen das vorbezeichnete Urteil hat der Beklagte form- und fristwahrend Berufung eingelegt.
Der Beklagte, der nunmehr den Darlehensrückzahlungsanspruch i.H.v. 50.000 EUR ausdrücklich unstreitig stellt, greift das landgerichtliche Urteil allein mit der Erwägung an, dass der Klägerin für einen weiteren Titel über den erstrangigen Teil der Darlehensforderung i.H.v. 50.000 EUR das Rechtsschutzinteresse fehle und führt aus, die Klägerin sei im Besitz von zwei Grundschuldbestellungsurkunden, jeweils mit Schuldanerkenntnis in Höhe des nominalen Grundschuldbetrages nebst dinglicher Zinsen mit Unterwerfungserklärung nach § 800 ZPO. Mit der Verschaffung der notariellen Vollstreckungstitel habe sich die Klägerin die zwangsweise Darlehensrückzahl...