Leitsatz (amtlich)
Die Hausverwaltung einer Wohnungseigentumsanlage ist für den gefahrlosen Zustand der Anlage verantwortlich. Die Miteigentümer treffen lediglich noch Kontroll- und Überwachungspflichten. Eine Streupflicht kann auch zu einem Zeitpunkt bestehen, in dem Glätte noch nicht eingetreten ist, aber bereits mit hinreichender Sicherheit absehbar ist, dass es in den folgenden Stunden, in denen keine Räum- und Streupflicht mehr besteht, zum Auftreten von Glätte kommen wird.
Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 19.03.2003; Aktenzeichen 1 O 892/01) |
Tenor
Das Urteil des LG Hanau - 1. Zivilkammer - vom 19.3.2003 (Az. 1 O 892/01) wird abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld i.H.v. 3.408,61 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungsgesetzes vom 9.6.1998 seit dem 20.9.2002 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin den materiellen und immateriellen Schaden, der ihr aus dem Unfall vom 24.2.2001 noch entstehen wird, zu einem Drittel zu ersetzen, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten der ersten Instanz haben die Klägerin 2/3 der Gerichtskosten und der jeweiligen außergerichtlichen Kosten der Beklagten, die Beklagten 1/3 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen. Von den Kosten der Berufungsinstanz haben die Klägerin 1/3 der Gerichtskosten und der jeweiligen außergerichtlichen Kosten der Beklagten sowie die Beklagten 2/3 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 10.225,84 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie auf Feststellung ihrer hälftigen Schadenersatzpflicht aus dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten unter Anrechnung eines hälftigen Mitverschuldens in Anspruch.
Die Klägerin ist Mieterin einer Wohnung in der Wohnungseigentumsanlage derBeklagten zu 1) in O1, ... Die Beklagte zu 2) ist Verwalterin gem. dem aus Bl. 132 ff. der Akte ersichtlichen Verwaltervertrag vom 18.11.1993. Am Morgen des 24.2.2001 gegen 7.10 Uhr stürzte die Klägerin auf dem Weg von der Haustür des Anwesens Nr. ... zu den Mülltonnen auf einer mit Schnee bedeckten Eisfläche. Wegen der Örtlichkeit wird auf die bei der Akte befindlichen Fotographien (Bl. 62 ff. d.A.) verwiesen. Die Klägerin zog sich durch den Sturz einen komplizierten Bruch des rechten Schien- und Wadenbeines zu, der eine Operation und eine stationäre Behandlung bis zum 8.3.2001 erforderlich machte und erhebliche Beschwerden und Einschränkungen zur Folge hatte. Ausweislich der aus Bl. 24, 26 der Akte ersichtlichen Bescheinigungen des Klinikums der Stadt Hanau vom 2.3., 8.3. und 10.4.2001 war die Klägerin mindestens für weitere vier Wochen seit dem 10.4.2001 arbeitsunfähig. Gemäß den Schreiben der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft vom 2.4., 24.8. und 28.8.2001 (Bl. 144 ff. d.A.) erhielt sie für den Zeitraum bis zum 7.6.2001 die Kosten einer Haushaltshilfe erstattet.
Sie hat behauptet, sie habe sich am Unfalltag gegen 7.10 Uhr zu den Mülltonnen begeben, um ihren Hausmüll zu entsorgen, und habe anschließend weiter zu den Parkplätzen gehen wollen, um zur Arbeit zu fahren, als es zum Sturz gekommen sei. Auch nach Beendigung des Krankenhausaufenthaltes habe sie sich über längere Zeit nur unter Einsatz zweier Gehhilfen bewegen können. Infolge des Unfalles habe sie weiterhin Schmerzen im Knie, welche sie zu einem Humpelgang veranlassten, und zwei unansehnliche jeweils ca. 10 cm lange Narben.
Die Beklagten haben behauptet, der Unfall habe sich bereits gegen 6.50 Uhr ereignet. Eine Streupflicht habe ihrer Ansicht nach zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestanden. Hierzu berufen sie sich auf die Satzung über die Straßenreinigung der Gemeinde O1 (Bl. 12 ff. d.A.). Die Eisfläche habe sich erst im Laufe der Nacht gebildet.
Das LG hat Beweis erhoben über den Hergang des Unfalls und den damaligen Zustand der Unfallstelle durch Vernehmung von Zeugen sowie über die damaligen Witterungsverhältnisse durch Einholung eines meteorologischen Gutachtens des Deutschen Wetterdienstes. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 1.11.2002 (Bl. 165 ff. d.A.) und auf das Gutachten vom 12.2.2003 (Bl. 196 ff. d.A.) Bezug genommen. Sodann hat es durch Urteil vom 19.3.2003 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten liege nicht vor. Die Eisfläche habe sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht schon am Vortage zu einem Zeitpunkt gebildet, zu dem die Beklagten zur Beseitigung von Eisglätte verpflichtet gewesen wären, nämlich bis 20.00 Uhr. Zum Unfallzeitpunkt, an einem Samstag vor 8.00 Uhr, habe die Stelle noch nicht gestreut sein müs...