Leitsatz (amtlich)
Der Fachverkehr wird durch eine Arzneimittelwerbung unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen das Gebot der Zitatwahrheit in die Irre geführt, wenn die Werbung mit der Freiheit des Mittels von bestimmten Wirkstoffen, durch die der Eindruck erweckt wird, dass es sich dabei um einen vorteilhaften Umstand handelt, der hinreichend wissenschaftlich belegt ist, auf die Fachinformation als Quelle verweist, sich die Fachinformation des Arzneimittels aber an keiner Stelle mit dem Umstand befasst, dass das Präparat die Wirkstoffe nicht enthält.
Normenkette
HWG § 3; UWG §§ 3, 3a, 5, 8
Verfahrensgang
LG Hamburg (Aktenzeichen 315 O 422/19) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 20.12.2019, Az. 315 O 422/19, abgeändert:
Im Wege der einstweiligen Verfügung - der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung - wird der Antragsgegnerin bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) weiter verboten,
geschäftlich handelnd, in der Bundesrepublik Deutschland für das Arzneimittel E. - wie geschehen in der Anlage zu dem Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 20.12.2019 - anzugeben:
"Fewer Antiretrovirals vs a 3-Drug Regimen: TDF, TAF and ABC free2".
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Erlassverfahrens zu tragen.
3. Die Kosten der Beschwerde fallen der Antragsgegnerin nach einem Beschwerdewert von EUR 75.000,00 zur Last.
Gründe
Die gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 8. Januar 2020 ist begründet.
I. Der mit dem Verfügungsantrag vom 28. November 2019 geltend gemachte Unterlassungsantrag zu I. 3. ist zulässig und begründet.
1. Es besteht ein Verfügungsgrund. Anhaltspunkte dafür, dass die Dringlichkeitsvermutung nach § 12 Abs. 2 UWG widerlegt wäre, bestehen nicht.
2. Auch der geltend gemachte Verfügungsanspruch besteht. Der im Beschwerdeverfahren streitgegenständliche Unterlassungsanspruch ist gemäß §§ 3, 8, 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG, § 3a UWG i. V. m. § 3 HWG begründet, denn die beanstandete werbliche Angabe ist irreführend i. S. v. §§ 5 UWG, 3 HWG.
a. Mit dem geltend gemachten Unterlassungsantrag soll der Antragsgegnerin bei Vermeidung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten werden, geschäftlich handelnd, in der Bundesrepublik Deutschland für das Arzneimittel E. - wie geschehen in der Verbindungsanlage - anzugeben:
"Fewer Antiretrovirals vs a 3-Drug Regimen: TDF, TAF and ABC free2".
Die Angabe ist in den monierten Werbeunterlagen jeweils drucktechnisch deutlich hervorgehoben und mit Fußnotenhinweis ("2") erfolgt. Die Auflösung der Fußnote lautet "E. Summary of Product Characteristics, July 2019", nimmt also Bezug auf die Fachinformation zu "E." (Anlage AS 7). Das beantragte Verbot ist auf die konkrete Verletzungsform gerichtet, mithin auf die im Antrag aufgeführte Angabe, und zwar so, wie sie in der Werbung gemäß der Verbindungsanlage (vgl. Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 20.12.2019) verwendet worden ist. Da auf die konkrete Verletzungsform ausdrücklich Bezug genommen wird, geht es vorliegend um die drucktechnisch besonders hervorgehobene Verwendung der streitgegenständlichen Angabe mit Fußnotenhinweis und Fußnotenauflösung.
b. Die Angaben "Fewer Antiretrovirals vs a 3-Drug Regimen: TDF, TAF and ABC free2" ist irreführend i.S.v. §§ 5 UWG, 3 HWG.
aa. Nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG ist eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale der Ware wie etwa Vorteile enthält. Gemäß § 3 HWG liegt eine unzulässige irreführende Werbung insbesondere dann vor, wenn Arzneimitteln Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben. Insoweit sind - wie allgemein bei gesundheitsbezogener Werbung - besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können (BGH, GRUR 2002, 182 - Das Beste jeden Morgen BGH GRUR 2013, 649, Rn. 15 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil).
Im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung gilt für Angaben mit fachlichen Aussagen auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen Werbung generell, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht (BGH, GRUR 1971, 153 - Tampax; BGH, GRUR 1991, 848, 849 - Rheumalind II; BGH, GRUR 2002, 273, 274 - Eusovit; BGH, GRUR 2004, 72 - Coenzym Q 10; BGH, GRUR 2013, 649, Rn. 16 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; OLG Hamburg, PharmaR 2007, 204, 206).
Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn dem Werbenden jegliche wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse f...