Leitsatz (amtlich)

1. Die wettbewerbsrechtliche Dringlichkeitsvermutung (§ 25 UWG) gilt auch für Markensachen. Die dem Markeninhaber eingeräumte Frist von 15 Arbeitstagen im Zusammenhang mit der sog. Vorabinformation und Musterübersendung (EuGH WRP 2002, 666 - Boehringer Ingelheim) betrifft allein die Frage der markenrechtlichen Erschöpfung beim EU-Parallelimport und nicht die der Dringlichkeit in Verfügungsverfahren, insoweit bleibt es bei den allgemeinen Grundsätzen zur Eilbedürftigkeit im gewerblichen Rechtsschutz.

2. Beim EU-Parallelimport markenrechtlich geschützter Nahrungsergänzungsmittel kann sich der Markeninhaber dem unautorisierten Umpacken in eine neu hergestellte äußere Umverpackung (hier: Faltschachtel) widersetzen (§ 24 MarkenG), weil die Importware in der ursprünglichen Packungsgröße mit einer umetikettierten Umverpackung im Inland vertrieben werden kann und deswegen ein Umpacken in eine neu hergestellte Umverpackung nicht (auch nicht in der ursprünglichen Packungsgröße) erforderlich ist. Das gilt nach den gleichen Grundsätzen auch dann, wenn die Originalware in den EU-Ländern in verschiedenen Packungsgrößen und Aufmachungen vertrieben wird.

3. Schweigt der Markenhersteller auf eine sog. Vorabinformation und Musterübersendung, so ist das im Regelfall nicht als Zustimmung ggü. dem Parallelimporteur zu verstehen, dass die umgepackte Markenware in dieser Aufmachung vertrieben werden darf.

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 06.05.2003; Aktenzeichen 312 O 131/03)

 

Tenor

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 12, vom 6.5.2003 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

 

Gründe

A. Die Antragstellerin produziert pflanzliche Heilmittel und Nahrungsergänzungsmittel tibetanischer Rezepturen, die unter der Bezeichnung "P.-..." bzw. unter dieser mit einem Zusatz (z.B.: "P.-... 28") Europaweit vertrieben werden.

Die Antragsgegnerin befasst sich mit dem Großhandel und mit dem Im- und Export von pharmazeutischen und kosmetischen Produkten (Anlage ASt 12). Sie vertreibt im Inland "P.-... 28-Kräutertabletten" in Packungsgrößen zu 80 und 220 Tabletten, die sie aus Österreich von der Firma W.-... Pharma, (im Folgenden kurz: W.-...), bezieht.

Die W.-... hat die Packungen in diesen Größen selbst erstellt, und zwar unter Verwendung von Originalware, die ursprünglich von der Antragstellerin im Bereich der Europäischen Union erstmals in den Verkehr gebracht worden ist, wobei sie - die W.-... - die Ware in Österreich in neu hergestellte, äußere, von der Antragstellerin nicht autorisierte Umverpackungen umgepackt hat (Anlagen ASt 15-16).

Diese Packungsgrößen werden von der Antragstellerin weder im Inland noch in dem jeweiligen EU-Mitgliedsstaat verwendet, in dem die Antragstellerin jeweils die "P.-... 28-Kräutertabletten" erstmalig in den Verkehr gebracht hat.

Außerdem hat die Antragsgegnerin den weiteren Parallelimport in den Packungsgrößen zu 100, 240, 880 Tabletten (4 x 220 Bündelpackung) und zu 960 Tabletten (4 x 240 Tabletten) der Antragstellerin mit Schreiben vom 28.1.2003 angezeigt (Anlagen ASt 19-21).

Die Antragstellerin beanstandet das Tun der Antragsgegnerin als Verletzung ihrer Markenrechte und nimmt sie deswegen im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung in Anspruch.

Die Bezeichnungen "P.-..." und (u.a.) "P.-... 28" sind für die Antragstellerin u.a. in Deutschland markenrechtlich geschützt (Anlagen ASt 2-3) bzw. lizenziert (Anlagen ASt 4-5: Klagemarke).

Die Antragstellerin bietet zum einen in der Schweiz ihre "P.-... 28"-Kräutertabletten seit Jahrzehnten als dort zugelassenes Arzneimittel in den Packungsgrößen zu 60, 200 und 1.000 Tabletten an (Anlagen ASt 6-7). Da das Präparat in Deutschland nicht als Arzneimittel zugelassen ist, kann es unter der Voraussetzung des § 73 Abs. 3 AMG nach Deutschland importiert und im Inland so vertrieben werden (Anlage ASt 8).

Zum anderen bringt die Antragstellerin in einer Vielzahl von EU-Mitgliedsstaaten das Präparat als Nahrungsergänzungsmittel in einer vom Schweizer Produkt (etwas) abweichenden Zusammensetzung erstmals in den Verkehr, so liefert sie nach Österreich das Präparat "P.-... 28" in den Packungsgrößen zu 60 und 200 Tabletten (Anlagen ASt 10-11); es ist dort als "Verzehrprodukt" i.S.d. österreichischen Lebensmittelgesetzes zugelassen (Anlage ASt 9). Die Präparate der Antragstellerin werden von ihr in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten in unterschiedlichen Packungsgrößen und in (auch farblich) abweichend gestalteten Faltschachteln in den Verkehr gebracht (vgl. die Muster in der Protokoll-Anlage vom 29.1.2004 der Beiakte OLG Hamburg 3 U 106/03).

Bisher - und das ist nicht Gegenstand des Verfügungsverfahrens - importierte die Antragsgegnerin das Präparat der Antragstellerin aus Österreich und bot es in den unveränderten Packungsgrößen (zu 60, 200 und 1000 Tabletten) im Inland unter "P.-... 28" an (Anlage ASt 14); nach dem Vermerk in der LAUER-Taxe vom 17.1.2003 ist der Vertrieb dieser Packu...

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