Entscheidungsstichwort (Thema)
Spring nicht (Usenet I)
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Beurteilung der Störer-Verantwortlichkeit des Betreibers eines Usenet-Dienstes ist zwischen von dritter Seite eingehendem Datenverkehr (Download aus dem Usenet) und von eigenen Kunden abgehendem Datenverkehr (Upload in das Usenet) zu differenzieren.
2. Da die (reine) Zugangsvermittlung in öffentlich zugängliche Kommunikationsnetze im Hinblick auf die Gefahr, an einer Vielzahl von Rechtsverletzungen mitzuwirken, stets mit erheblichen Risiko behaftet ist, gleichwohl aber in gewissem Umfang auch im Interesse der Allgemeinheit liegt, sind die dem Zugangsvermittler aufzuerlegenden Prüfungs- und Sicherungspflichten angemessen zu begrenzen.
3. Eine ständige Kontrolle des gesamten aus dem Usenet eingehenden Traffic auf rechtsverletzende Inhalte - anlasslos und ohne Kenntnis eine konkreten Rechtsverletzung - kann dem Betreiber im Hinblick auf die fortlaufende Spiegelung der Inhalte über eine Vielzahl von Servern im Regelfall nicht abverlangt werden, wenn das Geschäftsmodell nicht durch unerfüllbare Pflichten gefährdet werden soll.
4. Auch die im Hinblick auf Internet-Marktplätze entwickelten Rechtsgrundsätze der Störer-Haftung können nicht unverändert auf den Zugangsvermittler übertragen werden. Der Zugangsvermittler muss vielmehr entsprechend dem Willen des nationalen Gesetzgebers und des europäischen Richtliniengebers im Rahmen einer Inanspruchnahme aus §§ 1004, 823 BGB ebenfalls in einem Umfang von der Verantwortlichkeit frei gestellt werden, wie er sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls z.B. aus § 8 Abs. 1 TMG ergeben kann, auch wenn diese Norm auf Unterlassungsansprüche nicht unmittelbar anwendbar ist.
5. Eine derartige Funktionsprivilegierung des Zugangsvermittlers entfällt allerdings z.B. dann, wenn er die Inanspruchnahme seines Dienstes mit der Möglichkeit der Rechtsverletzungen aktiv und offensiv bewirbt. In diesem Fall treffen ihn erheblich gesteigerte Prüfungspflichten.
6. Im Gegensatz dazu muss der Betreiber, der seinen Kunden die Möglichkeit eröffnet, über seinen Dienst (rechtsverletzende) Inhalte aktiv in das Usenet einzustellen, diese zumindest dann umfassend auf künftige Rechtsverletzungen überprüfen (und diese verhindern), wenn er von einem Rechtsinhaber in Bezug auf ein konkretes Werk und einen konkreten Nutzer auf eine Rechtsverletzung hingewiesen worden ist.
Normenkette
TMG §§ 7-10; BGB §§ 823, 1004
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 15.06.2007; Aktenzeichen 308 O 325/07) |
Tenor
Die Berufung des Antragsgegners zu 2. gegen das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 8, vom 15.6.2007 wird als unzulässig verworfen.
Auf die Berufung der Antragsgegnerin zu 1. wird das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 8, vom 15.6.2007 abgeändert.
Die Antragsgegnerin zu 1. wird im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt, es bei Meidung der in dem landgerichtlichen Urteil genannten Ordnungsmittel zu unterlassen, das Musikwerk "Spring nicht" der Künstlergruppe "Tokio Hotel" ohne die erforderliche Einwilligung der Antragstellerin für den Bereich der Bundesrepublik Deutschland öffentlich zugänglich zu machen und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen, wenn dies dadurch geschieht, dass diese Aufnahme von Nutzern der Antragstellerin zu 1. über einen von ihr betriebenen Dienst in das Usenet hochgeladen wird, wie den unter der Internet-Adresse www.united-newsserver.de betriebenen.
Im Übrigen wird der Verfügungsantrag im Verhältnis zu der Antragsgegnerin zu 1. zurückgewiesen. Die weitergehende Berufung der Antragsgegnerin zu 1. wird ebenfalls zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten in erster und zweiter Instanz trägt der Antragsgegner zu 2. zu ½, die Antragstellerin sowie die Antragsgegnerin zu 1. tragen hiervon jeweils ¼. Von den außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin trägt der Antragsgegner zu 2. ½ und die Antragsgegnerin zu 1. ¼. Die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin zu 1. trägt die Antragstellerin zu ½. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Gründe
I. Die Antragstellerin ist einer der führenden deutschen Tonträgerhersteller. Durch unautorisierte Musikangebote im Internet entstehen ihr und den Mitbewerbern jährlich erhebliche Schäden. Neben der Nutzung in sog. Filesharing-Systemen erfolgen solche Rechtsverletzungen insbesondere auch im Rahmen sog. Newsgroups im Usenet.
Die Antragsgegnerin zu 1. vermittelt als Internet-Provider unter der URL www.united-newsserver.de interessierten Nutzern gegen Entgelt den grundsätzlich ungefilterten und unzensierten Zugang zu Newsservern über den von ihr betriebenen eigenen Usenet-Server. Der Antragsgegner zu 2. ist der alleinige Geschäftsführer der Antragsgegnerin zu 1. Über den Dienst der Antragsgegner sind verschiedene Newsgroups in sechsstelliger Anzahl zugänglich, davon über 16.000 in der Hierarchie "alt. binaries". Ihre Kunden erhalten damit Zugang zu allen im Usenet zugänglichen Nachrichten bzw. Inhalten weltweit.
Bei dem "Usenet" handelt es sich um ei...