Leitsatz (amtlich)
Aus dem Wortlaut von § 7 Abs. 1 S.1 Hs. 2 Nr. 2b HWG, wonach eine bestimmte Menge "gleicher Ware" abgegeben werden darf, ergibt sich, dass die Abgabe nur im Zusammenhang mit einem "Hauptgeschäft", d.h. im Rahmen eines Erwerbsgeschäfts, zulässig ist und dass Hauptware und zusätzlich gewährte Ware identisch sein müssen.
Dabei ist für die rechtliche Bewertung maßgeblich auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Erwerbsgeschäfts, nicht jedoch auf potentielle Änderungs-, Kündigungs- oder Widerrufsmöglichkeiten zu einem späteren Zeitpunkt abzustellen. Dies gilt auch dann, wenn es aufgrund der Wahrnehmung dieser Möglichkeiten nicht mehr zu einer kostenträchtigen Durchführung des Hauptgeschäfts kommen muss.
Normenkette
HWG § 7 Abs. 1
Tenor
I. Die Berufung der Antragstellerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 6 für Handelssachen, vom 21. Dezember 2021, Az. 406 HKO 112/21, wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Antragstellerin zur Last.
III. Das angefochtene und das vorliegende Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A. Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin wegen eines Verstoßes gegen das heilmittelwerberechtliche Zuwendungsverbot des § 7 Abs. 1 S. 1 HWG aus Wettbewerbsrecht auf Unterlassung in Anspruch.
Die Parteien sind unmittelbare Wettbewerber im Bereich des Vertriebs von Inkontinenzprodukten. Die Antragstellerin vertreibt unter der Bezeichnung "A" verschiedene Einlagen und Höschen ("Pants") für Frauen mit Blasenschwäche. Diese Produkte werden als Medizinprodukte vertrieben (Anlage AST 1). Die Antragsgegnerin vertreibt Inkontinenzeinlagen und -Pants unter der Marke "B". Dazu gehören die Medizinprodukte "B Pants für Frauen bei Blasenschwäche" und "B Einlagen für Frauen bei Blasenschwäche" (Anlage AST 2). Der Verkaufspreis für die kleinste Packung der "B"-Einlagen (10er Packung) beträgt EUR 5,20, der Verkaufspreis für die kleinste Packung der "B-Pants" (10er Packung) beläuft sich auf EUR 13,20 (Anlagen AST 3 und AST 4).
Im Sommer 2021 warb die Antragsgegnerin in der aus den Anlagen AST 5 bis AST 7 ersichtlichen Art und Weise für ein Gratis-Testpaket ihrer Produkte, das die Verbraucherinnen im Internet bestellen konnten und für das Versandkosten in Höhe von EUR 3,90 zu entrichten sowie gleichzeitig ein Abonnement für den kostenpflichtigen Bezug der testweise bezogenen Produkte abzuschließen war. Dieses Abonnement konnte jederzeit, auch vor Beginn der kostenpflichtigen Belieferung, gekündigt werden (Anlage AST 8).
Die Antragstellerin ließ die Antragsgegnerin diesbezüglich mit Schreiben vom 1. September 2021 abmahnen und zur Abgabe einer entsprechenden Unterlassungsverpflichtungserklärung auffordern. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die kostenlose Abgabe eines Gratis-Test-pakets gegen das Zuwendungsverbot von § 7 Abs. 1 S. 1 HWG verstoße (Anlage AST 9). Die Antragsgegnerin ließ das Unterlassungsverlangen mit Schreiben vom 6. September 2021 zurückweisen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das beworbene Testpaket schon nicht kostenlos sei. Zudem ergebe sich aus § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 14 HWG als lex specialis, dass das Zuwendungsverbot des § 7 HWG nicht auf die Abgabe von Medizinprodukte-Mustern an das Laienpublikum anwendbar sei (Anlage AST 10).
Nachfolgend erwirkte die Antragstellerin die Beschlussverfügung des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 27, vom 20. September 2021, Aktenzeichen 327 O 247/21, mit welcher der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Verfügung bei Vermeidung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten wurde,
im Rahmen geschäftlicher Handlungen die kostenfreie Abgabe der Medizinprodukte
"B Pants für Frauen bei Blasenschwäche" und "B Einlagen für Frauen bei Blasenschwäche" gegenüber Verbraucherinnen im Rahmen eines Gratis-Testpakets anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren, wenn dies wie in Anlage AST 5, Anlage AST 6 und Anlage AST 7 geschieht.
Hiergegen wendete sich die Antragsgegnerin mit ihrem Widerspruch vom 11. Oktober 2021, zu dessen Begründung sie geltend gemacht hat, dass kein Verstoß gegen § 7 HWG vorliege. Die Vorschrift des § 7 HWG sei auf die unentgeltliche Abgabe von Medizinprodukte-Mustern schon nicht anwendbar. Dieser Regelung gehe § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 14, S. 2 HWG als lex specialis vor. Danach sei zwar die Abgabe von Arzneimittel-Mustern an das Laienpublikum, nicht aber die Abgabe von Medizinprodukte-Mustern unzulässig.
Selbst wenn § 7 HWG anwendbar wäre - wie nicht - sei das angebotene Testpaket zulässig. Es lägen sowohl die Voraussetzungen eines zulässigen Barrabatts nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a HWG, als auch die Voraussetzungen eines zulässigen Naturalrabatts gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2b HWG vor. Das beworbene Testpaket sei nicht geeignet, den angesprochenen Verkehr unsachlich zu beeinflussen. Das Testpaket der Antragsgegnerin stelle eine im Bereich der Inkontinenzprodukte übliche Werbeform dar. Der angesprochene Verkehr sei an kostenlose Testpakete ebenso gewöhnt wie an Rabattaktionen (Anlage...