Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB ist mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. 12. 2010, die seit dem 10. 5. 2010 rechtskräftig ist, dahin auszulegen, dass der Wegfall der 10-Jahres-Frist in § 67 d Abs. 1 a.F. keine Rückwirkung haben darf, so dass auf Straftaten, die vor dem 31. 1. 1998 begangen wurden, die alte Norm Anwendung finden muss und die Sicherungsverwahrung ggf. für erledigt zu erklären ist.
Verfahrensgang
LG Essen (Entscheidung vom 28.05.2010; Aktenzeichen III StVK 14/10) |
Tenor
1.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
2.
Die durch Urteil der XV. großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg vom 22. Juli 1987 (XV KLs 14 Js 486/86 - 53/86) angeordnete Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung ist erledigt.
3.
Der Untergebrachte ist aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen.
4.
Mit der Entlassung aus dem Vollzug tritt Führungsaufsicht ein.
5.
Die Dauer der Führungsaufsicht beträgt fünf Jahre.
6.
Der Verurteilte wird für die Dauer der Führungsaufsicht der Aufsicht und Leitung des für seinen jeweiligen Wohnort zuständigen hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt.
7.
Die Erteilung der weiteren Weisungen wird der Strafvollstreckungskammer übertragen.
Gründe
I.
Das Landgericht Duisburg hat durch Urteil vom 22. Juli 1987 gegen den jetzt 63 Jahre alten Verurteilten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung, versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und zweifacher Vergewaltigung eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verhängt. Zugleich hat das Landgericht gegen den Verurteilten die Sicherungsverwahrung angeordnet.
Bereits vor dieser Verurteilung war es seit der frühesten Jugend des Untergebrachten immer wieder zu Sexualstraftaten gekommen, die sämtlich jedoch nicht über das Versuchsstadium hinausgingen. Typisches Merkmal all dieser Taten - wie auch der Anlasstaten - war es, dass der Verurteilte seine Opfer würgte, um sie so gefügig zu machen. Insgesamt verbüßte er wegen dieser Taten 13 Jahre Freiheits- bzw. Jugendstrafen. Ferner befand er sich in der Zeit vom 18.06.1976 bis zum 19.03.1979 aufgrund einer Unterbringung gemäß § 42 b a.F. StGB (jetzt § 63 StGB) im psychiatrischen Krankenhaus in Eickelborn. Insgesamt hat der Untergebrachte 40 Jahre seines Lebens in Unfreiheit verbracht. In ihrem Urteil vom 22. Juli 1987 hatte die Strafkammer, sachverständig beraten durch Herrn Prof. Dr. Sch., bei dem Verurteilten eine schwere neurotische Persönlichkeitsstörung sowie einen Hang i.S.d. § 66 festgestellt. Der Verurteilte neige zu Vergewaltigungstaten, weil er unter einer äußerst fragilen männlichen Identität mit Männlichkeitsängsten und einem erziehungs- und entwicklungsbedingt gestörten Verhältnis zu Frauen leide. Er entwickele dabei auch Rache- und Überwältigungsphantasien gegenüber seinen Opfern. Der Sachverständige attestierte dem Verurteilten vor diesem Hintergrund auch eine Gefährlichkeit im fortgeschrittenen Alter.
In der Folge verlief der Strafvollzug des Betroffenen zunächst unauffällig. Er verhielt sich angepasst und es kam zu keinen besonderen Vorkommnissen. Allerdings erfolgten jedoch keine besonderen therapeutischen Maßnahmen. Diese setzten erst nach Antritt der Sicherungsverwahrung im Jahre 1995 ein. Sie führten dazu, dass der Betroffene im Januar 2001 vom geschlossenen Vollzug der JVA Werl in den offenen Vollzug der JVA Bielefeld-Senne verlegt werden konnte. Auch hier erfolgten weitere Behandlungsmaßnahmen u.a. auch durch externe Psychologen. Nach Einschätzung der Anstalt und der Psychologen verlief die Therapie erfolgreich, so dass der Anstaltspsychologe Dipl.-Psych. R. in einer Stellungnahme vom 27.03.2001 zu dem Ergebnis kam, dass es nicht unrealistisch sei, dass innerhalb der nächsten drei Jahre eine Entlassungsreife des Betroffenen erreicht werden könne. In der Folgezeit konnte sich der Verwahrte in ihm regelmäßig gewährten strukturierten Ausgängen, die er u.a. auch zum Besuch der örtlichen Tanzschule nutzte, bewähren. Seitens der Justizvollzugsanstalt wurde im August 2005 sodann konkret die Frage der künftigen Beurlaubung des Verwahrten geplant. Hierzu kam es jedoch nicht, da im Rahmen eines Gutachtens gemäß § 67 d Abs. 2 StGB über die Frage der Erledigung der Maßregel die Sachverständigen Dr. B. und Dipl.-Psych. B. zu dem Ergebnis kamen, dass der Betroffene eine "sadistisch perverse und sadistisch verfestigte Persönlichkeit" sei. Er habe zu dieser sadistischen Paraphilie weder Distanz noch Einsicht gewonnen. Die durch die Taten zutage getretene Gefährlichkeit bestehe daher bei ihm fort. Dieses Gutachten, obwohl es von allen behandelnden externen und internen Psychologen als unzutreffend und methodisch nicht haltbar angesehen wurde, führte zu einer Rückverlegung des Betroffenen in den geschlossenen Vollzug in die JVA Werl und zunächst zum Abbruch sämtlicher Behandlungsmaßnahmen. Aufgrund dieses Gutachtens lehnte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld mit B...