Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortwirkung eines während der Minderjährigkeit geschaffenen nicht dynamischen Titels nach Volljährigkeit. Zumutbarkeit des Festhaltens an einem Vergleich nach Änderung der Sätze der Düsseldorfer Tabelle
Leitsatz (amtlich)
1. Durch die mit dem Kindesunterhaltsgesetz vom 6.4.1998 neu eingefügte Vorschrift des § 798a ZPO hat sich an der materiell-rechtlichen Fortwirkung eines während der Minderjährigkeit geschaffenen nicht dynamischen Unterhaltstitels über den Eintritt der Volljährigkeit des unterhaltsberechtigten Kindes hinaus (entgegen OLG Hamm v. 31.5.2005 - 9 WF 67/05, FamRZ 2006, 48) nichts geändert.
2. Die Frage, ob es einem Kind nach Änderung der Tabellensätze der Düsseldorfer Tabelle infolge des Eintritts der Volljährigkeit zumutbar ist, an der zum Minderjährigenunterhalt titulierten Regelung aus einem gerichtlichen Vergleich festzuhalten, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls ohne Bindung an eine feste Wesentlichkeitsgrenze.
Normenkette
BGB § 313 Abs. 1, § 1601; ZPO §§ 323, 798a
Verfahrensgang
AG Rheda-Wiedenbrück (Beschluss vom 11.07.2006; Aktenzeichen 7 F 36/06) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Kläger vom 28.7.2006 gegen den Beschluss des AG - FamG - Rheda-Wiedenbrück vom 11.7.2006 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die 21.1.2005 volljährig gewordenen Antragstellerinnen begehren vom Antragsgegner, ihrem leiblichen Vater aus der geschiedenen Ehe mit der Mutter, im Wege der Leistungsklage Zahlung von Kindesunterhalt für den Zeitraum ab März 2005. Bereits durch Vergleich vor dem AG - FamG - Rheda-Wiedenbrück vom 27.11.2002 (Az.: ...) wurde der Kindesunterhalt für die Antragsteller tituliert. In dem Vergleich ist festgelegt, dass der Antragsgegner an jede Antragstellerin monatlich 305 EUR (berechnet aus 382 EUR Tabellenunterhalt abzgl. 77 EUR Kindergeldanteil) zu zahlen hat. Eine Begrenzung auf die Zeit der Minderjährigkeit der Antragstellerinnen ist darin nicht vorgesehen.
Die im Übrigen arbeitslose Antragstellerin zu 1) ist im Rahmen einer Nebentätigkeit in einer Fleischerei beschäftigt und verdient dort monatlich 72 EUR. Eine im Sommer 2004 begonnene Ausbildung als Arzthelferin hat sie abgebrochen, ebenso eine im Jahre 2005 begonnene Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau, aus welcher sie zumindest im September und Oktober 2005 Einkünfte i.H.v. mehr als 410 EUR (Ausbildungsvergütung) erzielt hat.
Die Antragstellerin zu 2) ist Schülerin. Sie besucht das Berufskolleg in S mit einer Unterrichtsstundenzahl von 12 Wochenstunden mit dem Ziel des Erwerbs der Fachhochschulreife in den Fächern Sozial- und Gesundheitswesen. Sie verdient ebenfalls im Rahmen einer Nebentätigkeit bei einer Fleischerei monatlich 72 EUR.
Beide Antragsteller leben bei ihrer Mutter.
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das FamG den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht (§ 114 ZPO) zurückgewiesen.
II. Die gem. § 127 Abs. 2 Nr. 2, 3 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
a) Das FamG ist zurecht davon ausgegangen, dass richtige Klageart nicht die Leistungsklage, sondern die Abänderungsklage gem. § 323 ZPO ist, denn der Unterhalt der Antragstellerin ist bereits durch Vergleich vom 27.11.2002 tituliert.
Der Fortgeltung des Titels steht - entgegen der Ansicht der Antragstellerinnen - nicht entgegen, dass die Antragsteller inzwischen (nach Abschluss des Vergleichs) volljährig geworden sind.
Soweit Berechtigte aus dem Vergleich ihre Mutter ist, können sie den Titel auf sie - die Antragsteller - umschreiben lassen (§ 727 Abs. 1 ZPO).
Der Vergleich hat durch den Eintritt der Volljährigkeit der Antragsteller seine Wirksamkeit nicht verloren. Zwar erlischt mit dem Eintritt der Volljährigkeit das Sorgerecht (§ 1626 Abs. 1 BGB). Betreuungsunterhalt wird nicht mehr geschuldet. Wegen des Wegfalls der Betreuungsverpflichtung wird der bisher den Betreuungsunterhalt sicherstellende Elternteil ebenfalls barunterhaltspflichtig mit der Folge, dass sich der Barunterhalt anteilig nach den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen beider Elternteile bemisst (§ 1606 Abs. 3 Nr. 1 BGB). Darüber hinaus trifft den Volljährigen die Obliegenheit zur eigenverantwortlichen Sicherung seines Lebensunterhalts stärker als das minderjährige Kind. Die Besonderheiten, die für den Unterhalt minderjähriger Kinder gelten, rechtfertigen es jedoch nicht, den Anspruch auf Volljährigenunterhalt als eigenständigen und nicht mehr als Fortsetzung des bisherigen (während der Minderjährigkeit gegebenen) Anspruchs aufzufassen, denn die nach § 1601 BGB bestehende Unterhaltspflicht zwischen Eltern und ihren Kindern ist nicht an feste Altersgrenzen gebunden. Sie besteht - unter den allgemeinen Voraussetzungen der Bedürftigkeit des Kindes einerseits und der Leistungsfähigkeit des Elternteils andererseits - lebenslang fort (BGH v. 21.3.1984 - IVb ZR 72/82, MDR 1984, 1012 = FamRZ 1984, 682 f.; vgl. auch OLG Koblenz v. 7.5.1998 - 11 UF 1095/97, FamRZ 1999, 676 [677]; OLG Zweibrücken v. 25.5.1999 - 5 WF...