Entscheidungsstichwort (Thema)
Recht des Strafgefangenen auf selbstbestimmtes Sterben. Mitwirkungspflicht der JVA
Leitsatz (amtlich)
Die Entscheidung einer Justizvollzugsanstalt, einem Strafgefangenen die Beschaffung der für seine beabsichtigte Selbsttötung erforderlichen Medikamente auch auf dessen eigene Kosten nicht zu ermöglichen, ist auch unter Berücksichtigung des mit Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 (2 BvR 2347/15 u.a., veröffentlicht bei juris) anerkannten Rechts auf selbstbestimmtes Sterben in Anbetracht der gleichzeitig in der verfassungsgerichtlichen Entscheidung erfolgten Festlegung, dass es eine „Verpflichtung zur Suizidhilfe nicht geben darf“ und sich aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben (gerade) kein Anspruch der sterbewilligen Person gegenüber in ihrer Gewissensfreiheit ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Dritten darauf ableitet, „bei einem Selbsttötungsvorhaben unterstützt zu werden“, nicht zu beanstanden.
Denn im Rahmen des besonderen Vollzugsverhältnisses ist bereits mit Blick auf die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt über eine bloße Duldung der Medikamentenbeschaffung hinausgehend stets eine irgendwie geartete Mitwirkung bzw. Begleithandlung seitens der Vollzugsanstalt nötig (z.B. Genehmigung des Gewahrsams an den todbringenden Präparaten gemäß § 15 Abs. 2 S. 2 StVollzG NRW bzw. im Falle der Aushändigung Beaufsichtigung und Kontrolle des Gefangenen bei der Einnahme der Präparate zur Verhinderung etwaiger Missbräuche), die unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts gerade nicht erzwungen werden darf.
Normenkette
StVollzG NRW § 43 Abs. 1 S. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Kleve (Aktenzeichen 161 StVK 23/20) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens fallen dem Betroffenen zur Last (§ 121 Abs. 2 StVollzG).
Gründe
I.
Senatsbekannt befindet sich der Betroffene seit dem 00.00.1986 ununterbrochen in Unfreiheit, derzeit in der JVA A. Gegen ihn sind aus zwei Verurteilungen zwei lebenslange Freiheitsstrafen zu vollstrecken.
Der Betroffene wendet sich gegen den Beschluss der 2. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kleve (im Weiteren: Strafvollstreckungskammer) vom 06. November 2020, mit dem sein ursprünglich gemäß § 113 StVollzG als Vornahmeantrag gestellter Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 12. April 2020, den die Strafvollstreckungskammer nach zwischenzeitlich durch den Leiter der JVA A am 26. Mai 2020 erfolgter (ablehnender) Bescheidung des Antrags des Betroffenen vom 08. März 2020, ihm auf eigene Kosten die Beschaffung der für seine Selbsttötung erforderlichen Medikamente zu ermöglichen, als Verpflichtungsantrag für zulässig erachtet hat, in Ermangelung eines Anspruchs des Betroffenen auf bzw. einer Verpflichtung des Leiters der JVA A zur "Beihilfe zur Selbsttötung" als unbegründet zurückgewiesen worden ist.
Der Beschluss ist dem Betroffenen am 16. November 2020 zugestellt worden. Am 03. Dezember 2020 hat er dagegen zu Protokoll des Rechtpflegers bei der Auswärtigen Rechtsantragsstelle der JVA A Rechtbeschwerde eingelegt, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt und unter Erhebung der Rüge der Verletzung materiellen Rechts sein erstinstanzliches Verpflichtungsbegehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat er unter Hinweis auf das bereits erstinstanzlich in Bezug genommene Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 (2 BvR 2347/15 u.a., veröffentlicht bei juris) betreffend die Verfassungswidrigkeit des am 10. Dezember 2015 in Kraft getretenen § 217 StGB ("Geschäftsmäßige Förderung der Suizidhilfe") im Wesentlichen ausgeführt, er begehre lediglich die bloße Genehmigung zur Beschaffung bzw. Aushändigung der zur Selbsttötung erforderlichen Medikamente und damit keine Beihilfe im Sinne eines irgendwie gearteten aktiven Tuns seitens des Leiters der JVA.
Das Ministerium der Justiz hat unter dem 23. Februar 2021 Stellung genommen und beantragt, wie beschlossen. Der Betroffene hat sich dazu privatschriftlich unter dem 20. März 2021 geäußert.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, hat aber in Sache keinen Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 118 Strafvollzugsgesetz des Bundes (im Folgenden: StVollzG) zulässig, also form- und fristgerecht angebracht und mit einer Begründung versehen, sowie gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.
Der vorliegende Einzelfall gibt in der Zusammenschau mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 betreffend die Verfassungswidrigkeit des am 10. Dezember 2015 in Kraft getretenen § 217 StGB vor dem Hintergrund des vom Bundesverfassungsgericht in der vorgenannten Entscheidung anerkannten Rechts auf selbstbestimmtes Sterben zwar keinen Anlass, Leitsätze für die Auslegung der Vorschriften der §§ 43 Abs. 1 S. 2, 45 StVollzG NRW aufzustellen. Denn auch unter Berücksichtigung des Re...