Kein Anspruch auf ein konkretes tödliches Medikament
Seitdem das BVerfG mit Urteil vom 26.2.2020 das Recht jedes Menschen auf einen selbstbestimmten Tod postuliert hat, hat eine nicht geringe Zahl von zumeist schwerkranken Personen, die den Entschluss zu einer Selbsttötung gefasst haben, beim BfArM die Erlaubnis zum Erwerb des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital beantragt. Das Mittel steht in dem Ruf, nach seiner Einnahme den Tod eines Menschen schmerzfrei und zuverlässig herbeizuführen.
Bundesgesundheitsministerium mit Vorbehalten gegenüber Selbsttötung
Das BfArM hat bisher keinen dieser Anträge positiv beschieden. Der Grund für diese Zurückhaltung dürfte in der deutlich restriktiven Haltung des Bundesgesundheitsministeriums gegenüber dem Recht auf Selbsttötung zu sehen sein. Der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn hatte das Amt angewiesen, keine Mittel zur Selbsttötung auszugeben bzw. deren Erwerb zu gestatten. Unter der neuen Regierung hat sich dies bisher nicht geändert.
Kläger beanspruchten Erlaubnis zum BtM-Erwerb
Drei der betroffenen Personen, die an schweren Erkrankungen wie Multipler Sklerose und Krebs leiden, hatten das BfArM zunächst vor dem VG Köln verklagt mit dem Antrag, das Bundesamt zu verpflichten, ihnen eine Erlaubnis zum Erwerb von jeweils 15 g Natrium-Pentobarbital zu erteilen. Für die Klagen waren in erster Instanz das VG Köln und im Berufungsverfahren des OVG Münster zuständig, weil das BfArM seinen Sitz in Bonn und damit in NRW hat.
Natrium-Pentobarbital ist ein Betäubungsmittel
Sämtliche Klagen waren sowohl erstinstanzlich als auch vor dem OVG NRW erfolglos. Das OVG stützte seine Entscheidung auf § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG. Das gewünschte Mittel Natrium-Pentobarbital ist nach Auffassung des OVG-Senats aus medizinischer Sicht nicht als Medikament, sondern als Betäubungsmittel einzuordnen. Sein Erwerb und Gebrauch richte sich damit nach den Vorschriften des BtMG.
Erwerb bestimmter Betäubungsmittel nur mit Erlaubnis des BfArM
Gemäß § 3 Abs. 1 BtMG bedürfen u.a. der Anbau, die Herstellung, der Vertrieb und der Erwerb von Betäubungsmitteln einer Erlaubnis des BfArM. § 5 BtMG normiert zwingende Gründe für die Versagung einer solchen Erlaubnis. Unter anderem ist gemäß § 5 Abs. 1 Nummer 6 die Erlaubnis zum Inverkehrbringen und zum Erwerb eines Betäubungsmittels zu versagen,
- wenn die Erlaubnis nicht dazu dient, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen und
- daneben nicht der Missbrauch sowie das Entstehen oder die Erhaltung einer Betäubungsmittelabhängigkeit so weit wie möglich ausgeschlossen wird.
Die Absicht zur Selbsttötung gehört nicht zur medizinischen Versorgung
Auf den Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG stützte das OVG Münster im Wesentlichen seine ablehnende Entscheidung. Die von den Klägern beantragte Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung erfülle nicht die gesetzliche zwingende Voraussetzung der Sicherstellung der notwendigen medizinischen Versorgung. Der notwendigen medizinischen Versorgung diene der Erwerb eines Betäubungsmittels nur dann, wenn der Erwerb eine therapeutische Zielrichtung habe, d.h. der Heilung oder Linderung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden diene. Eine Selbsttötung könne diesen therapeutischen Zwecken nicht zugeordnet werden.
Kein Anspruch auf ein bestimmtes Betäubungsmittel
Das OVG erkannte durchaus das sich aus dieser Auslegung des BtMG ergebende Spannungsverhältnis zu dem vom BVerfG postulierten Recht auf einen selbstbestimmten Suizid. Dieses Recht wird nach Auffassung des OVG durch die Vorschrift des § 5 BtMG aber nicht verletzt, denn das Recht auf selbstbestimmten Suizid beinhalte nicht den Anspruch auf ein bestimmtes Betäubungsmittel.
Zugangsverweigerung ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt
Die Verweigerung des Zugangs zu einem bestimmten Betäubungsmittel ist nach Auslegung des OVG lediglich ein mittelbarer Eingriff in das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und sei durch verfassungsrechtlich hochrangige Rechtsgüter gerechtfertigt. Der in § 5 BtMG normierte Versagungsgrund sei Ausdruck der staatlichen Schutzpflichten für das Leben. Diese Pflicht, Leben zu schützen, könne gegenüber dem Freiheitsrecht des Einzelnen Vorrang haben. Das Betäubungsmittelrecht sehe bisher keine Maßnahmen vor, die dazu dienen, eine selbstbestimmte Suizidentscheidung zu gewährleisten.
Handeln des Gesetzgebers erforderlich
Die Entscheidung darüber, zu welchen Medikamenten oder Betäubungsmitteln ein zum Suizid entschlossener Zugang haben solle, obliegt nach der Entscheidung des Senats dem Gesetzgeber. Dieser habe in diesem Kontext auch die Pflicht, Bestimmungen darüber zu treffen, welche Anforderungen
- an den freien Willen,
- an die Dauerhaftigkeit des Selbsttötungsentschlusses und
- an die Erteilung von Informationen gegenüber den Betroffenen zu möglichen Handlungsalternativen zu stellen sind.
In diesem Rahmen habe der Gesetzgeber insbesondere Maßnahmen zu ergreifen, um einen Miss- oder Fehlgebrauch zu verhindern.
Das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben bleibt bestehen
Die Verweigerung des Zugangs zu dem Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital ist nach der Entscheidung des OVG auch deshalb kein unzulässiger Eingriff in das Grundrecht auf einen selbstbestimmten Suizid, weil das Recht der Kläger auf Selbsttötung auch bei Verweigerung des Zugangs zu dem gewünschten Mittel weiter bestehen bleibe. Nach aktueller Rechtslage sei ein Zugang zu bereitgestellter Suizidhilfe auch real eröffnet.
Recht auf Inanspruchnahme von Sterbehilfe
Nach Auffassung des OVG hat die vom BVerfG verfügte Verfassungswidrigkeit des in § 217 StGB geregelten Verbots der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung die Möglichkeiten von Suizidwilligen, den Wunsch nach selbstbestimmten Sterben zu verwirklichen, deutlich erweitert. Auch das ärztliche Berufsrecht stehe nach der Entscheidung des BVerfG einer Suizidhilfe nicht mehr grundsätzlich entgegen. Suizidwilligen sei die Suche nach einem zur Sterbehilfe bereiten Arzt auch überregional zumutbar. Solche Ärzte seien bei entsprechender Suche sowohl in Deutschland als auch im benachbarten Ausland zu finden. Diesen stünden diverse Mittel zur Verfügung, um Suizidhilfe zu leisten.
(OVG Münster, Urteil v. 2.2.2022, 9 A 146/21; 9 A 147/21; 9 A 148/21)
Hintergrund:
Im Februar 2020 hatte das BVerfG in einer wegweisenden Entscheidung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben abgeleitet. Das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auch auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen.
Das Selbstbestimmungsrecht umfasst Leben und Sterben
In seiner Entscheidung definierte das BVerfG das allgemeine Persönlichkeitsrecht unter anderem als die Freiheit jedes einzelnen, sein Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit zu führen und auch zu beenden. Das autonome Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen sowohl über sein Leben als auch über seinen Tod seien notwendiger Bestandteil des von der Verfassung geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
Gesetzgeber darf Regeln für Suizidhilfe aufstellen
Hierbei dürfe der Gesetzgeber Regeln für die Suizidhilfe erlassen und die Suizidhilfe regulieren. Dabei müsse er aber sicherstellen, dass dem Recht des einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung verbleibt. Das in § 217 StGB normierte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verstoße gegen das Grundgesetz, weil es die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung faktisch weitgehend entleere. Das BVerfG erklärte daher § 217 StGB für verfassungswidrig und damit für unwirksam (BVerfG, Urteil v. 26.2.2020, 2 BvR 2347/15; 2 BvR 2527/16; 2 BvR 1261/16 u.a.).
Natrium-Pentobarbital ist in der Schweiz das häufigste Suizidmittel
In der Schweiz wird das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital regelmäßig zur Durchführung des assistierten Suizids eingesetzt. Auch in der Schweiz ist der Einsatz des Mittels allerdings nicht unumstritten. Nicht wenige Schweizer Apotheken verweigern die Ausgabe des Medikaments.
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